Beale Street

Originaltitel
If Beale Street could talk
Land
Jahr
2018
Laufzeit
119 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 28. Februar 2019

Man stelle sich vor, man ist ein weitgehend unbekannter Filmemacher und dreht mit sehr schmalem Budget einen kleinen Independent-Film über Heranwachsen und Selbstfindung eines schwulen Afro-Amerikaners. Und ein Jahr später hat man auf einmal den Oscar für den besten Film des Jahres in der Hand. So erging es Barry Jenkins mit seinem letzten Film "Moonlight", und es ist nur konsequent, dass er mit seinem Nachfolgewerk (nun mit deutlich höherem Budget und prominenterer Besetzung) seiner Rolle treu bleibt und sich erneut der afro-amerikanischen Erfahrung und Lebenswelt widmet.

Beale Street"Beale Street" ist dabei die Adaption eines Romans von James Baldwin, ein bedeutender afroamerikanischer Autor des 20. Jahrhunderts, dessen Werk im Zuge der "Black Lives Matter"-Bewegung derzeit eine Renaissance erlebt. Von dem Titel darf man sich dabei nicht täuschen lassen: Eine "Beale Street" kommt in der Handlung überhaupt nicht vor. Wie ein zu Beginn des Films eingeblendetes Zitat erläutert, das einst auch Baldwins Roman vorausging, ist diese Beale Street allegorisch zu verstehen: Als der Ort, an dem sich ein jedes, typisches afroamerikanisches Leben abspielt, da die gesamte schwarze Gemeinde in den USA ähnliche Erfahrungen teilt und mit denselben Widerständen zu kämpfen hat, während ein jeder sein persönliches Glück zu finden sucht. 

Ebenso allegorisch präsentiert sich dann auch Jenkins' gesamter Film. Während "Moonlight" noch eine spezifische Geschichte eines bestimmten Charakters erzählte, aus der sich viele allgemeingültige Aussagen über afroamerikanische Lebenswelten und tradierte Bilder von Männlichkeit ableiten ließen, vermittelt "Beale Street" von Anfang an eher das Gefühl, dass man hier permanent im Symbolhaften unterwegs ist. Oberflächlich betrachtet erzählt "Beale Street" die Geschichte der 19-jährigen Tish (KiKi Layne), die im Harlem der frühen 1960er Jahre erfährt, dass sie schwanger ist, just nachdem ihre große Liebe Fonny (Stephan James) ins Gefängnis gesteckt wurde, weil er einer Vergewaltigung beschuldigt wird. Doch so wie Fonnys Inhaftierung beispielhaft steht für die Ungerechtigkeit im amerikanischen Justizsystem, unter der zahllose Schwarze damals wie heute zu leiden haben (der Film lässt nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass Fonny unschuldig und das Opfer eines rassistischen Polizisten ist), so sind auch Tish und Fonny selbst weniger "echte" Charaktere als eine idealisierte Überhöhung eines jungen Liebespaares - sie sind als Paar zu perfekt, ihre Liebe zu rein, um wirklich authentisch und glaubwürdig zu wirken. Beale StreetIn ähnlicher Weise sind eigentlich alle Figuren in diesem Film eher Repräsentanten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen bzw. von Aspekten innerhalb der afroamerikanischen Gemeinde. Das ist per se nichts Schlechtes. Es verdeutlicht indes, wie sehr "Beale Street" auf allen Ebenen mit Metaphorik und Subtext aufgeladen ist. Und beizeiten kommt der Film derart bedeutungsschwanger daher, das seine Charaktere unter dem Gewicht von all dieser Symbolik eben kaum noch als eigenständige Figuren atmen können. 

Man könnte so etwas leicht als prätentiösen Mist abkanzeln, aber dafür ist Jenkins ein viel zu außergewöhnlicher Filmemacher. Tatsächlich ist "Beale Street" über weite Strecken ein cineastischer Hochgenuss, ein Film von betörender Schönheit und Eleganz. Das gilt für seine kunstvolle Verschachtelung zweier Erzählebenen, wenn in der Gegenwart Tish zusammen mit ihrer Familie verzweifelt versucht, Fonnys Unschuld zu beweisen und ihn aus dem Gefängnis zu holen, während immer wieder zurückgeblendet wird in die Zeit vor Fonnys Verhaftung, als die beiden ihre Liebe zueinander entdeckten und auslebten. Das gilt für das traumhafte Zusammenspiel aus Bild und Ton zwischen Nicholas Britells sanft schwebender Filmmusik und der zärtlichen Wärme in den Bildern von Kameramann James Laxton. Und das gilt vor allem für das Gesamtkunstwerk von Jenkins' ganz eigener inszenatorischer Handschrift. Mit bemerkenswerter Behutsamkeit erzählt er seinen Film über viele kleine Momente und Vignetten und erzeugt einen ruhigen, aber stetigen narrativen Fluss, ohne allzu viel auf gängige Plotstrukturen zu geben. So erzeugt Jenkins eine ganz eigene Atmosphäre und generiert aus minimalen Details maximale Wirkung, während er seine Figuren mit einer Zuneigung und Zärtlichkeit führt, die ihresgleichen sucht. 

Beale StreetDank seiner famosen Darsteller gelingen Jenkins an manchen Stellen dann sogar Szenen von solcher Intensität, dass es sich anfühlt, als würde der Film für einen Moment stillstehen, während die Wirkung des Augenblicks auf der Leinwand vibriert. Ein solcher Moment entsteht, als Fonny einen alten Freund wiedertrifft, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, und dieser Kumpel bei ein paar Bier von seinen Knasterfahrungen zu erzählen beginnt - bis sein Blick in Erinnerung an die dort bezeugten Gräuel ganz leer wird und sein sekundenlanges Schweigen mehr erzählt als es ein zweiseitiger Monolog vermocht hätte. Ein anderer "Showstopper" gehört Regina King, als sie in der Rolle von Tishs Mutter einen letzten verzweifelten Versuch unternimmt, das vermeintliche Opfer von Fonny ausfindig zu machen und die Frau dazu zu bringen, die belastende Aussage gegen ihn zurückzunehmen. Die rohe Kraft und Emotion von King in dieser Szene ist schlicht atemberaubend und Grund genug, dass sie für ihre Vorstellung hier den Oscar als besten Nebendarstellerin gewonnen hat. 

"Beale Street" ist frei von jeder Anbiederung an den Mainstream, und als ein dezidiert politischer Film des afroamerikanischen Kinos in seinem Sujet wohl schlicht zu spezifisch, um hierzulande ein sonderlich großes Publikum erreichen zu können. Wenn er auch nicht ganz die Brillanz seines direkten Vorgängers erreicht, ändert das aber nichts daran, dass er als filmisches Kunstwerk absolut sehenswert ist. 

Bilder: Copyright

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