Der dünne Mann

MOH (49): 7. Oscars 1935 - "Der dünne Mann"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 2. April 2024

In der letzten Folge unserer Oscar-Reihe hatte der Ehrgeiz einer Opernsängerin die Handlung vorangetrieben, in “Der dünne Mann“ scheinen sich unsere Hauptfiguren dagegen eher entspannt treiben lassen zu wollen. Und das obwohl schon bald das Leben eines Menschen auf dem Spiel steht.

Der dünne Mann

Originaltitel
The Thin Man
Land
Jahr
1934
Laufzeit
91 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Es kribbelt immer so ein bisschen wenn bei einem der Oscar-Jahrgänge einer dieser Titel auftaucht, den man vom Hörensagen kennt und der mehr verspricht als nur eine kleine Randnotiz in dieser Reihe zu sein. Angesichts steigender Vorfreude muss man dabei aber aufpassen die eigenen Erwartungen nicht in unfaire Höhen zu schrauben – sonst kann es leicht passieren, dass man etwas ernüchtert Filmgeschichte an sich vorüberziehen lassen muss. Genau solch eine Ernüchterung stellte sich bei mir bei der von vielen (damals wie heute) gefeierten Kriminalkomödie “Der dünne Mann“ ein.

Dabei gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe, warum dieser Film noch heute eine besondere Stellung in der Filmgeschichte einnimmt. Mit seinen beiden extravaganten und sich ständig gegenseitig neckenden Hauptfiguren pfeift er auf sympathische Weise auf Genre-Konventionen des Jahres 1934 und verlieh dem bis dato stets schlecht gelaunt und düster daherkommenden Detektivfilm-Genre einen erfrischend-selbstironischen Anstrich. Nur besteht der Film leider eben aus mehr als nur zwei unglaublich charismatischen Hauptfiguren und gerade die unnötig verworrene Geschichte raubt dem Auftreten unseres charmanten Duos doch so deutlich an Dynamik, dass mein Applaus am Ende etwas gedämpfter als erhofft ausfällt.


Um zu verstehen was diesen Film aber doch auch so besonders macht muss man den Kontext der damaligen Zeit berücksichtigen. In der amerikanischen Kriminalliteratur der 1920er und 1930er Jahre stand oft der sogenannte Hardboiled Detective im Vordergrund – ein tougher, vom Leben gezeichneter und seine eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung (Selbstjustiz rules) durchsetzende Ermittler. Mit dem Antihelden Sam Spade gelang Autor Dashiell Hammett dabei eine der berühmtesten Figuren dieses Genres, auf die wir in dieser Reihe übrigens später im Klassiker “Die Spur des Falken“ auch noch treffen werden.

Ausgerechnet dieser Dashiell Hammett sollte nun aber in seinem letzten Roman “Der dünne Mann“ an einigen von ihm selbst etablierten Konventionen ordentlich rütteln. Seine Hauptfigur ist hier nämlich so gar kein Griesgram, sondern eher ein ordentlicher Partylöwe. So richtig Bock einen Kriminalfall zu lösen hat der bekannte Privatdetektiv Nick Charles (William Powell) nämlich gar nicht, lässt sich doch die Freizeit mit Feiern und jeder Menge Martini viel entspannter gestalten. Warum sollte er auch arbeiten, hat Nick doch die reiche Nora (Myrna Loy) geheiratet und kann es sich auf deren Kosten so richtig gut gehen lassen – und muss im Gegenzug nur ab und zu mal den gemeinsamen Hund Gassi führen. Nora wiederum findet Kriminalfälle aber ganz unterhaltsam, solange natürlich auch ihr Zeit für das ein oder andere höherprozentige Getränk bleibt.


Und so überzeugt Nora ihren Mann bei einem gemeinsamen Besuch in New York doch für den Entertainmentfaktor dem Fall des verschwundenen Wissenschaftlers Clyde Wynant nachzugehen. Halb motiviert und stets mit einem Fläschchen Alkohol in der Hand startet Nick etwas wiederwillig seine Ermittlungen und trifft bald auf jede Menge Verdächtige, wie Clydes Tochter Dorothy (Maureen O'Sullivan, “The Barretts of Wimpole Street“), dessen Geliebte Julia (Natalie Moorhead) oder Ex-Frau Mimi (Minna Gombell). Schnell taucht dann auch die erste Leiche auf und sowohl Nick als auch Nora wird klar, dass man für die Ermittlungen doch lieber noch mal den Kühlschrank auffüllen sollte.

Die beste Szene des Films fasst sehr gut zusammen warum gerade die Rolle von Nora in diesem Film schon fast als revolutionär bezeichnet werden kann. Zu spät zu einer Party kommend setzt sich unsere Millionärin zu ihrem Mann an den Tisch, um gemeinsam mit einem Gläschen Martini anzustoßen. Als sie aber erfährt, dass ihr Gatte schon fünf Martini Vorsprung hat lässt sie das nicht auf sich sitzen und teilt dem Ober mit, doch bitte gleich fünf weitere Martini an ihren Platz zu bringen – Saufen kann sie schließlich auch. Für eine weibliche Hauptfigur des Jahres 1934 eine schier aberwitzige und einfach coole Aktion – da hätte man wirklich gerne mal Mäuschen gespielt, wie diese Szene beim Publikum damals so angekommen ist.

Die besagte Szene im Video (am Ende des Clips)


Das hier Geschlechterklischees auf den Kopf gestellt werden zeigt sich aber nicht nur dadurch, dass es hier die Frau ist, die am Abend mit einem Kater im Bett liegt. Nora trink nicht nur kräftig mit, sie ist auch die mit der Kohle und füttert ihren Mann gewissermaßen durch. Eine für diese Zeit völlig untypische und unglaublich moderne Konstellation der Geschlechter, von der man sich hier sehr leicht begeistern lassen kann. Auch weil die gute Nora ihren stets um einen coolen Auftritt bemühten Ehemann so gar nicht ernst nimmt. Es ist wirklich eine Freude, wie die beiden sich ständig gegenseitig necken und dissen und sich gerade Nora dabei überhaupt nichts gefallen lässt. Die Chemie zwischen Powell und Loy ist dabei stets am Anschlag – sobald beide gleichzeitig im Raum sind knistert es. Und die Tatsache, dass die beiden eigentlich nichts und niemanden für voll nehmen (außer ihre Gläser) sorgt für eine wirklich sehr unterhaltsame Ermittlungsathmosphäre.

Wobei der Film nicht allen Klischees so ganz entkommen kann und am Ende dann doch meist den Mann die cleversten Schlussfolgerungen ziehen lässt. Frisch und unverbraucht wirkt es trotzdem und angesichts dessen könnte man es ja eigentlich verzeihen, dass der Kriminalfall selbst ziemlich uninspiriert und verworren daherkommt. Leider ist dieser aber mehr als nur ein unbedeutendes  Hintergrundrauschen und stört unsere unterhaltsamen Ehe-Kabbeleien dann doch mehr als erwünscht. Gleich der Anfang des Filmes ist ein gutes Beispiel dafür, bei dem man uns die beiden zentralen Protagonisten für fast 20 Minuten komplett vorenthält und stattdessen auf eher verwirrende Art und Weise eben jenen Fall etabliert. Und gerade weil man sich soviel Mühe macht und zahlreiche Verdächtige präsentiert versucht man als Zuschauer hier dann auch fleissig aufzupassen und mitzurätseln, nichtsahnend, dass am Ende alles eigentlich komplett egal ist.  


Auch im Mittelteil langweilt man sein Publikum immer wieder mit unnötigen Details zu einem spürbar lieblos geschriebenen Kriminalfall an dem ja selbst unser ermittelnder Detektiv nur  notgedrungen Interesse hat. Da auch die Nebenfiguren sowohl schauspielerisch als auch in Sachen Dialogwitz hier und da schwächeln bremsen diese Passagen unser dynamisches Duo leider viel zu oft aus. Ob ein weinender Geschäftsmann, der unbedingt mit seiner Mutter telefonieren möchte oder Dorothys etwas trotteliger Bruder, einige angedachte Running Gags fallen so flach aus, dass sie nur mit sehr viel Wohlwollen zu ertragen sind.

Das der Motor hier trotz grandioser Hauptbesetzung einfach etwas unrund läuft zeigt auch das große Finale. Das steckt voller netter Dialogwechsel zwischen Nick und Nora, bietet einen großartigen Gag rund um einen Teller Nüsse und kombiniert dies mit einer nett gedachten Persiflage auf das typische Ende eines Agatha Christie Krimis. Doch wieder zieht man auch hier einen Running Gag unnötig in die Länge und beraubt sich so selbst eines richtig gelungenen Finales. Was angesichts zwei so toll angelegter und genauso überzeugend gespielter Hauptfiguren einfach verdammt ärgerlich ist. Spaß kann man mit “Der dünne Mann“ natürlich trotzdem noch haben und es ist durchaus verständlich, warum der Film damals so gut ankam und gleich mehrere Fortsetzungen nach sich zog. Der Begriff Genre-Meisterwerk kann meiner Meinung nach im Zusammenhang mit diesem Film aber nur mit einem großen “Aber“ fallen.
 
"Der dünne Mann" ist aktuell auf Prime Video, sowie DVD und Blu-Ray auf Amazon in Deutschland verfügbar.

Trailer zum Film
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge gibt es jede Menge Diskussionspotential in dem wohl vielschichtigsten Oscarkandidaten der 7. Academy Awards. 

Bilder: Copyright

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