Große Haie, kleine Fische

Originaltitel
A shark's tale
Land
Jahr
2004
Laufzeit
90 min
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Simon Staake / 1. Januar 2010

Oscar (Originalstimme: Will Smith) ist ein kleiner Angestellter des örtlichen Wal-Wasch-Service mit großen Plänen: Auf die Spitze des Riffs, da wo die sich tummeln, die es geschafft haben, dort will er hin. Zu dumm, dass er sich mit diversen windigen Aktionen in arge Kreditschulden gebracht hat, die sein Boss Sykes (Martin Scorsese) nun eintreiben möchte. Da kann auch die heimliche Hilfe der Sekretärin Angie (Renee Zellweger), die schon lange heimlich in Oscar verliebt ist, nicht mehr viel helfen. So ein Glück, dass Oscar einen anderen Meeresbewohner mit ebenfalls großen Problemen trifft. Lenny (Jack Black) ist ein weißer Hai - aber ein Vegetarier und Fischanthrop - statt kleine Fische zu essen, entlässt er sie lieber in die Freiheit. Dies wird natürlich von seinem Vater, Don Lino (Robert de Niro), nicht gern gesehen. Der ist nämlich seines Zeichens der Pate der örtlichen Hai-Mafiosi. Und sein Sohn soll sich gefälligst als richtiger Teil der Familie beweisen. Als durch einen Unfall Lennys Bruder Frankie stirbt, sieht Oscar seine Chance auf schnellen Ruhm. Großmäulig proklamiert er sich zum "Hai-Killer". Womit die Probleme erst anfangen. Denn nun muss er nicht nur den mittlerweile befreundeten Lenny verstecken, sondern sich sowohl den Avancen der macht- und geldgeilen Lola (Angelina Jolie) als auch der Rache Don Linos erwehren. Da steckt dieser kleine Fisch schnell in ganz großem Ärger...

Würde man im Hollywood-Lexikon unter "Keine gute Idee" nachschlagen, könnte man dort folgenden Eintrag finden: ‚"Der Pate"-Parodie als Kinderfilm mit Trickfilmfischen'. Denn obwohl sich "Große Haie, kleine Fische" als für Erwachsene ganz brauchbarer Film mit recht hohem Unterhaltungswert präsentiert, kann man nicht verhehlen, dass dieses Projekt eine der größten Fehlkalkulationen ist, die sich die Traumfabrik in den letzten Jahren zusammengereimt hat. Selten wurde ein Film so konsequent auf Ereignis und Merchandising ausgerichtet und dabei komplett am eigentlichen Zielpublikum vorbeiproduziert. Denn "A Shark's Tale" (so das Original) ist bei allen von der "Shrek"-Schmiede Dreamworks zur Schau getragenen Meriten für Erwachsene immer noch ein Kinderfilm. Und ein unangenehmer, unannehmbarer dazu.

Man muss sich schon fragen, wie das beim Pitch der Storyidee zugegangen ist. Hat da schon beim allerersten Schritt überhaupt jemand nachgedacht? Wie viele, sagen wir mal Sechs- bis Zehnjährige, haben "Der Pate" oder "Die Sopranos" gesehen? Und noch viel wichtiger: Wie viele sollten diese blutig-brutalen Dramen für Erwachsene gesehen haben? Warum nimmt man als Grundlage einen dreißig Jahre alten Gangsterfilm? Welches Kind soll sich an dem dargestellten Milieu erfreuen? Oder die zahlreichen Anspielungen verstehen? Warum ist das Riff unter Wasser nicht ein Ort, unter dem sich ein Kind etwas vorstellen kann, sondern eine mit Werbebannern und buntem Firlefanz vollgestellte Großstadtkopie?
Nun wäre das Mafia-Epos mit seinen Erwachsenenproblemen, mit denen ein Kind nichts anfangen kann und anfangen sollte (denn welcher Knirps soll sich schon mit Mafiabossen, sadistischen Geldeintreibern und Kleingaunern beschäftigen?), vielleicht grade noch erträglich, wenn man den Film nicht mit den übelsten Klischees über ethnische Gruppen und/oder Minderheiten randvoll gestellt hätte. Erwachsene können das Spiel mit Stereotypen wenigstens erkennen und sich durchaus amüsiert anschauen, aber hier werden auch die Kleinsten schon zu simpelsten Weltanschauungen genötigt: Italo-Amerikaner sind in akzenthaltiger Sprache drohende, verschlagene Mafiosi, Jamaikaner sind zugedröhnte Kiffköpfe am Rande der Debilität, junge Afro-Amerikaner sind dem hemmungslosen Konsum von Luxusgütern zugetane Hip Hopper mit zweifelhaften Moralbegriffen ("MTV Cribs" lässt grüßen). Und als wäre all das noch nicht genug, fügt man zu allem Überfluss noch das Thema Homosexualität hinzu, denn Lenny mit seiner hohen, femininen Stimme, seinem Wunsch als Friseur zu arbeiten und seinen Verkleidungen als Delphin ist nur ein äußerst unzureichend kaschiertes Porträt eines schwulen Transvestiten. Da mag einem wissenden Erwachsenen ein Satz wie "Du hast einen Delphin aus meinem Sohn gemacht!" noch ein Grinsen abringen, aber dies hat in einem vorrangig für Kinder hergestellten Film nichts, aber auch gar nichts zu suchen. "Große Haie, kleine Fische" ist in all seinen klischierten Zuschreibungen so zynisch, da kann dann auch das wild mit der Moralkeule umherschwingende Ende, in dem sich alle lieb haben, nichts mehr retten. Dieser vermeintlich für Kinder geeignete Film ist, man muss es so hart sagen, ein Anti-Kinderfilm.

"Große Haie - Kleine Fische" zeigt zudem für alle Altersklassen diejenigen Abnutzungserscheinungen, die schon bei "Shrek 2" zu beobachten waren. Als da wären: das komplett überzogene Maß an Popkultur-Referenzen und Insiderwitzen und die dreiste Schleichwerbung. Auch hier nimmt ein erwachsener Zuschauer dies anders auf, und für die großen Haie ist das Sammelsurium an absurden, oftmals aber auch wirklich witzigen Insiderwitzen durchgehend unterhaltsam, während so manch kleiner Fisch nur ratlos seine Eltern angucken wird, wenn das "Der Weiße Hai"-Thema humorvoll diskutiert wird ("Das ist unser Erkennungslied!") oder der von Quentin Tarantino populär gemachte trunk shot auftaucht. Gerade erwachsene Filmliebhaber werden den meisten Spaß mit diesem Film und seinen zahlreichen Anspielungen, Zitaten und Referenzen aus der "Der Pate"-Serie, den "Sopranos" und jedem anderen Mafia-Epos der letzten 30 Jahre (sowie diverse andere Filme) haben, wie auch an den unzähligen anderen kleinen Details aus der Welt der Popkultur. Dazu gehört etwa, wenn nur für einige kurze Sekunden auf der Rückseite einer Illustrierten eine Werbung für einen Horrorfilm auftaucht, komplett mit passend abgewandelter Werbezeile ("Before you die you see the...Hook"). Sehr geschickt, sehr nett. Aber beizeiten wird es auch zu viel und zum reinen Selbstzweck, etwa wenn Oscar im Schaukampf mit Lenny sinnentleert die bekanntesten Zitate aus "Gladiator", "Eine Frage der Ehre" und "Jerry McGuire" in die Menge wirft, just for the hell of it.
In jedem Falle unpassend und unschön ist aber das unter dem Deckmantel der lustigen Abwandlung bzw. Satire betriebene Product Placement. Das fiel einem schon in "Shrek 2" negativ auf und wird hier auf die Spitze getrieben. Während aber Erwachsene die allzu dreisten Werbebotschaften als solche wahrnehmen können, kann man dies von Kindern nicht erwarten, die dem Wunsch nach etwa "Coral Cola" dann unreflektiert nachkommen. Den Höhepunkt des zynischen Merchandising und Cross Marketing erreicht man zum Finale, in der Christina Aguilera und Missy Elliott als animierte Fische antreten, um ihre neue CD zu promoten. Auch dafür gibt's im Bezug auf die Kleinsten nur ein "Pfui, so geht's nicht".

Animationstechnisch sei gesagt, dass die Fische in Aussehen, Gestik etc. ihren Synchronsprechern aus der Originalversion angepasst wurden und der Wiedererkennungswert sehr hoch ist, sogar in der recht gut synchronisierten deutschen Fassung. Allerdings sieht ein Fisch mit dem Antlitz etwa von Will Smith doch eher ein wenig gespenstisch statt irgendwie niedlich aus. Und während man Robert de Niro in den letzten Jahren sich in Realfilmen zu oft selbst hat parodieren sehen, gilt hier: einer geht noch. Wie de Niro als animierter Mafioso Don Lino chargiert, das macht schon Spaß. Sorgen muss man sich allerdings um Will Smiths immer betulichere Einrichtung in der Onkel Tom-Nische Hollywoods machen, des lustigen Schwarzen, den jeder mag. Dass Smith (mal wieder) ohne Zögern eine Rolle annimmt, die einen eindeutig rassistischen Beigeschmack hat, sollte ihm schon zu denken geben. Aber viele Millionen können berechtigte Bedenken wohl vergessen machen. Die überzeugendste Sprechleistung kommt eher unerwartet von Angelina Jolie, die dem fish fatale Lola überzeugend eine verführerisch-dunkle Aura gibt.

Nun kann man argumentieren, dass ein Film mit der dargebotenen Story und dem Werben mit großen Stars als Sprecher sich hauptsächlich als Unterhaltung für die Größeren versteht und das funktioniert dann trotz genannter Einwände recht gut. Denn flott herüber kommt die Geschichte auf jeden Fall und recht unterhaltsam bleibt es meist, bisweilen gelingen sogar richtig gute Lacher. Aber vergleicht man dieses Unterwasserabenteuer mit dem wirklichen Familienfilm "Findet Nemo", dann wird deutlich, wie erschreckend leb-, herz- und (trotz absurd hoher Insiderwitz-Dichte) einfallslos "Große Haie, kleine Fische" ist. Für Erwachsene witziger und unterhaltsamer als man vom enttäuschenden Trailer her vermuten könnte, ist "Große Haie, kleine Fische" dennoch für Kinder schlicht ungeeignet und damit eindeutig in Flop-Gefahr. Dieser von Marketingstrategen aufgeblasene Fisch hat eine schillernde Oberfläche, aber er stinkt schon etwas komisch vom Kopf her.

Bilder: Copyright

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