Was weiß der deutsche Kinobesucher schon vom tibetischen Hochland? Eigentlich gar nichts. Lu Chuan, der kürzlich für seinen Erstling "The missing Gun" zahlreiche Preise einstecken konnte, hat mit "Kekexili" einen Spielfilm über eine wahre Geschichte gemacht. Der ist so eindrucksvoll und intensiv, dass man glaubt, sich in einer Dokumentation zu befinden. Kekexili, das tibetische Hochland, ist eine kaum zugängliche Landschaft voller Berge und Flüsse, voller Schnee und Kälte. Es ist die Heimat der Tibetischen Antilope, die von gnadenlosen Wilderern illegal gejagt und zu Zehntausenden erschossen wird. Denn das weiche und edle Fell der Antilopen findet im Westen viele wohlhabende Käufer und bringt einen hohen Gewinn. Der einzige Schutz der vom Aussterben bedrohten Tierart ist die freiwillige Bergpatrouille. Die ortsansässigen Tibeter versuchen ohne Geld und mit schlechter Ausrüstung die Wilderer zu jagen. "Kekexili" begleitet nicht nur die Gruppe idealistischer Kämpfer, sondern zeigt auch die Situation armer tibetischer Bauern, die aus Not zu Helfern der Wilderer werden: Gegen wenig Geld enthäuten sie die getöteten Antilopen und bringen die Felle an verabredete Plätze. In der Konsequenz ihrer Jagd gehören auch diese Männer zu den Feinden der Bergpatrouille. Ga Yu muss erfahren, wie zum Gelingen einer guten Sache auch unmenschliches Handeln erforderlich wird. Und obwohl sich Ga Yu zu vielen Dingen erst überwinden muss, lernt er bald die Regeln der eingeschworenen Gruppe. Auch der Zuschauer bringt der Patrouille unweigerlich Respekt entgegen. Der Film ist hart und gewaltig, genauso wie die Bergwelt, in der er spielt. Die konsequenten und idealistischen Männer kämpfen scheinbar machtlos gegen die Landschaft an, die sie beschützen wollen. Der feste Glaube, die Wilderer eines Tages erwischen und beseitigen zu können, lässt sie immer wieder in die Berge aufbrechen, obwohl viele von ihnen dort zurückbleiben. Während die Figuren rettungslos und verloren ihrem Untergang entgegen kriechen, fragt sich der bewegte Kinobesucher, wann denn endlich die altbekannte "Rettung in letzter Sekunde" erscheint und dem Spuk ein Ende bereitet. Aber dieser Film zeigt eine wahre Geschichte, in der eine Reifenpanne ein Todesurteil bedeuten kann und ein Fußmarsch Tage dauert. Hier gibt es keine Retter, die plötzlich auftauchen und keine Gewissheit, dass eines Tages alles gut wird. Der Kampf um Leben und Tod ist von Regisseur und Drehbuchautor Lu Chuan sehr realistisch und deutlich aufgezeichnet, so unmittelbar, dass man "Kekexili" schon fast als einen Dokumentarfilm bezeichnen kann. Denn Chuan will dokumentieren, was in den 90er Jahren tatsächlich in dem weiten und unbewohnten Gebiet des Qingzang-Plateaus passiert ist: Erst durch die Berichte eines Pekinger Reporters wurde die Tragödie um die tibetischen Antilopen und ihre Beschützer bekannt. Der Bericht war drastisch und brachte die chinesische Regierung tatsächlich zum Handeln: Kekexili wurde zum Naturschutzgebiet erklärt und gut ausgerüstete Soldaten der Regierung lösten die freiwillige Bergpatrouille ab. Seitdem ist die Zahl der tibetischen Antilopen wieder gestiegen. Wenn man nach dem Film ziemlich betreten und mit einem dicken Kloß im Hals das Kino verlässt, sollte man vielleicht an das "gute Ende" in der Realität denken. Damit war der Einsatz der Patrouille nicht völlig umsonst. |
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