Baby Blood

Originaltitel
Baby Blood
Land
Jahr
1990
Laufzeit
88 min
Regie
Bewertung
von Moritz Hoppe / 3. Dezember 2019

Frankreich ist nicht nur das Geburtsland des Kinos, auch nach der ersten Kinoaufführung der Brüder Lumiére 1895 in Paris sorgten französische RegisseurInnen immer wieder für wichtige und einflussreiche Filmströmungen, die das weltweite Kino bedeutend beeinflusst haben. Die Nouvelle Vague stellt dabei die Speerspitze dieser Filmströmungen dar. Im Genre des Horror- und Splatterfilms hingegen trat das französische Kino eher weniger in Erscheinung. So ist es umso erfreulicher, dass nun ein ebenso wichtiger wie unbekannter französischer Horrorfilm in restaurierter Fassung auf dem deutschen Heimkino-Markt erscheint.

Der 1990 erschienene Horrorfilm „Baby Blood“ von Alain Robak zählt als Vorreiter der sogenannten „New French Extreme“, einer französischen Filmströmung der frühen 2000er, welche Filme beschreibt, die sich der transgressiven Kunst zuordnen lassen. Also einer Kunst, die moralische Werte infrage stellt und mit Provokation, Grenzüberschreitung und Übertreibung für Aufsehen sorgt. Zu den bekanntesten RegisseurInnen der „New French Extreme“ zählen unter anderem Gaspar Noé („Irreversible“), Catherine Breillat („Meine Schwester“) oder auch Pascal Laugier („Martyrs“). Solche trangressiven, subversiven Filmströmungen haben sich vor allem in den 70er, 80er und 90er Jahren weltweiter Verbreitung erfreut. Zusammengefasst unter der Begrifflichkeit „Exploitation-Film“ entstanden erweiterte Filmgenres wie beispielsweise der italienische Giallo oder diverse Subgenres wie der Sex-, Black- oder auch Naziploitation-Film. „Exploitation“ beschreibt dabei einen speziellen Produktionsmodus, bei dem trotz niedrigem Budget große, visuelle Schauwerte erzielt werden sollten (meist durch explizite Sex- und Gewaltdarstellungen). „New French Extreme“ kann vor dem Hintergrund des „Exploitation-Films“ demnach als postmoderne Weiterführung dieses Filmstils verstanden werden.

„Baby Blood“ ist nicht nur der vermeintlich erste, sondern gleichzeitig auch einer der subversivsten Filme der „New French Extreme“. Seit dem 29.11.2019 – anlässlich seines 30-jährigen Jubiläums – darf „Baby Blood“ nun auch in HD-Optik und mit jeder Menge Extras auf dem heimischen Bildschirm erlebt werden. Inhaltlich sowie ästhetisch folgt der Genre-Hybrid dabei ganz eigenen Formen und Regeln.

In Form eines Tigers schleicht sich ein übernatürlicher Parasit in einen kleinen französischen Zirkus, mit dem Ziel, von einem weiblichen Wirt ausgetragen zu werden. Die schwangere Yanka (Emmanuelle Escourrou), die als Assistentin im Zirkus arbeitet, kommt dem Parasiten gerade recht und er schafft es, sich in Yankas Gebärmutter „einzunisten“. Yanka, die sich in einer toxischen Beziehung mit ihrem gewalttätigen Mann befindet, schafft es, vom Zirkus zu fliehen und in Paris abzutauchen. Der Parasit muss jedoch von nun an ernährt werden. Dafür benötigt er Blut, wodurch Yanka fortan gezwungen ist, ihre Mitmenschen – vornehmlich die Männer – zu töten, was eine blutige Odyssee durch Frankreich zur Folge hat…

Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte wie ein absurd zusammengewürfeltes Konstrukt unterschiedlicher filmischer und auch literarischer Einflüsse. Letztlich folgt die Handlung jedoch einem stimmigen Gesamtkonzept, wenngleich die Mischung aus Horrorelementen, Gesellschaftskritik und Dämonensagen mit Dracula-Elementen bei einigen Zuschauern durchaus zu anfänglichen Berührungsängsten führen dürfte. Der Film nimmt sich – trotz des humoristischen Untertons – ausreichend ernst, um nicht in den ersten Minuten zum reinen Gore- und Splatterfest zu verkommen. Ein Grund dafür ist die gezeigte Filmwelt, die in „Baby Blood“ eine männerdominierte, triebgesteuerte ist. Frauen werden als nettes Beiwerk und Mittel zum (sexuellen) Zweck gesehen. Innerhalb dieser Konstellation kommt eine Besonderheit der Geschichte zum Vorschein, denn der Parasit – der sich jeglicher Geschlechterzuordnung entzieht – kann mit Yanka (in grammatikalisch klarsten Französisch) kommunizieren und kommentiert immer wieder sehr zynisch eben jenes Patriarchat. Dadurch bekommt nicht nur der eigentlich so unmenschliche Parasit eine Persönlichkeit verliehen, auch die gezeigte Gesellschaft wird gewissermaßen offengelegt.

Obschon der Film in erster Linie als unterhaltsame Horror-Splatter-Komödie daherkommt, lassen sich feministische Tendenzen nicht ausblenden, die vor allem im Finale des Films ihren erzählerischen Höhepunkt finden. Diesbezüglich lassen sich Ähnlichkeiten zu prominenten Vertretern des Exploitationkinos feststellen, allen voran mit dem 1981 erschienenen „Die Frau mit der 45er Magnum“, welcher die Rachegeschichte einer vergewaltigten Frau an der Männerwelt darstellt. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper wird in beiden Filmen – „Baby Blood“ und „Die Frau mit der 45er Magnum“ – behandelt und thematisiert, obschon die erzählerische wie auch inszenatorische Vorgehensweise grundlegende Unterschiede aufweist. Alain Robak arbeitet viel mit dem Male Gaze – dem männlichen, heterosexuellen Blick, der die Frau in seinen Besitz nimmt. Jedoch wird das „männliche Starren“ hier aktiv gezeigt und abstoßend inszeniert, wodurch der Zuschauer schnell auf Yankas Seite gezogen wird. Diese feministischen Tendenzen spielen für die erste Rezeptionsebene von „Baby Blood“ zwar vermutlich keine große Rolle, im Genre des Slasher- und Splatter-Films stellen sie jedoch durchaus eine Rarität dar: Vielerorts dominiert (bis heute noch) die starke (Vor-)Verurteilung der sexuell emanzipierten Frau, die für ihre Handlungen mit dem Tod bestraft wird.

Durch die bereits angesprochene Kommunikation zwischen Yanka und dem Parasiten entsteht im Laufe des Films eine Mutter-Kind-Beziehung, was immer wieder die Frage aufkommen lässt, wer der eigentliche Antagonist in „Baby Blood“ ist: Der blutdurstige Parasit, der Yanka dazu zwingt zu morden, oder die Unmenschlichkeit und Verachtung von Yankas Mitmenschen. Auch wird dadurch die Bedeutung einer Mutterschaft auf eigene Art und Weise angesprochen. Ganz im Stile des Exploitationskinos werden diese Thematiken aber keinesfalls subtil oder feinfühlig behandelt, vielmehr rückt die exploitative Gewaltlust des Zuschauers in den (ästhetischen) Vordergrund.

Die handgemachten Gore- und Splattereffekte zeugen von einer ungemeinen Kreativität und Verspieltheit, wodurch Alain Robak seinem Film immer wieder eine Form der kindlichen Unschuld verleiht. Dies hat zur Folge, dass sich eine Ambivalenz zwischen der Darstellung und dem Dargestellten auftut, denn das was gezeigt wird, sprengt – wie bereits angedeutet – die Grenzen des guten Geschmacks, wie es die Inszenierung jedoch präsentiert, sorgt für viele spaßige Unterhaltungsmomente. Die gestochen scharfe restaurierte Fassung tut dabei ihr Übriges.

„Baby Blood“ ist französisches Genrekino in seiner reinsten Form und ein Klassiker des französischen Exploitationkinos, der leider immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erfahren durfte. Auch werden Filme dieser Art heutzutage kaum noch produziert. Alain Robak vereint groteske Unterhaltung mit ernstzunehmenden Themen, ohne dabei die kreative Verspieltheit zu verlieren. Wer „Baby Blood“ noch nicht gesehen hat, dem sei diese skurrile Schwangerschaftsgeschichte daher wärmstens ans Herz gelegt. Kenner des Films dürfen sich darüber hinaus über eine messerscharfe Optik und jede Menge spannende Extras freuen: Die „30th Anniversary Edition“ von Bildstörung beinhaltet eine Bonus-DVD mit diversen Kurzfilmen von Alain Robak, einen Audiokommentar des Regisseurs und der Hauptdarstellerin, Interviews mit weiteren Beteiligten des Films, sowie ein (von insgesamt drei Autoren verfasstes) Booklet, das noch einmal spannende Hintergrundinformationen und persönliche Geschichten rund um „Baby Blood“ und das französische Genrekino im Allgemeinen liefert.

Bilder: Copyright

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