Strictly Ballroom

Originaltitel
Strictly Ballroom
Land
Jahr
1992
Laufzeit
90 min
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 16. November 2010
Es gibt nicht viele Regisseure, denen es heutzutage noch gelingt, sich mit einem ganz eigenen Stil zu etablieren. Einer von ihnen ist definitiv der Australier Baz Luhrmann, der mit "Romeo + Julia" (1996) und "Moulin Rouge" (2001) zwei atemberaubende Leinwand-Hits landete, die mit ihrer schier unbändigen Energie und einer so eigenwilligen wie brillant abgestimmten Mischung aus Pop, Tragödie und absurder Komik begeisterten. Diese beiden Werke waren jedoch schon die Teile Zwei und Drei der von Luhrmann so betitelten "Roter Vorhang"-Trilogie. Dass Luhrmanns Debütfilm und erster Teil dieser Reihe hierzulande weniger bekannt ist, mag zum einen an der damals noch mangelnden Starbesetzung liegen, zum anderen an dem sehr unglücklich gewählten deutschen Verleihtitel: "Ballroom - Die gegen alle Regeln tanzen". Das trifft zwar den Kern der Geschichte des Films, suggeriert aber eine bierernste Dramatik, die dem aberwitzig-ironischen Charme von "Strictly Ballroom" komplett abgeht. Dass das Ergebnis ähnlich großartig unterhält wie seine zwei Nachfolger, davon kann man sich nun auch endlich (und mit Originaltitel) auf DVD überzeugen.

Dem Geist der Trilogie folgend, ist die Geschichte von "Strictly Ballroom" absolut schlicht und der Ausgang von Anfang an absehbar (so, wie man bei "Romeo + Julia" vorher weiß, dass das Paar am Ende tot sein wird, und auch "Moulin Rouge" den Tod der Geliebten schon in der ersten Filmminute verriet), sterben tut hier allerdings niemand - das wäre auch eine viel zu schwere Thematik für die luftig-leichte, komplett sinnfreie Welt, in der dieser Film spielt: Der Welt des australischen Amateur-Turniertanzes. Deren aufstrebender Star ist Scott Hastings (Paul Mercurio, der einzige echte Tanz-Profi im Cast), dessen Mutter und Tanzlehrerin nichts mehr erwünscht, als dass Scott den prestige-trächtigen Pan-Pacific Grand Prix gewinnt. Doch bei einem Vorturnier schockiert Scott seine Eltern, die Jury und den allmächtigen Verbandspräsidenten Barry Fife, als er auf einmal - Oh, mein Gott! - beginnt zu improvisieren. Neue Schritte! Das ist unerhört und wird abgestraft: Scott verliert nicht nur das Turnier, sondern auch seine Tanzpartnerin, die bei solch einem Skandal nicht mitmachen will. Einzig das verhuschte hässliche Entlein Fran (Tara Morice) findet toll, was Scott versucht, und bietet sich ihm als Partnerin an, um beim großen Turnier mit ihm zusammen auf eigene Art - gegen alle Regeln - zu tanzen.

Wer jetzt meint, dass das nach einer ziemlich bescheuerten Geschichte klingt, hat den Nagel auf den Kopf getroffen, denn genau das soll es sein. Während die überernsten Klassiker des Genres von "Saturday Night Fever" bis "Flashdance" den Tanz als Akt der Rebellion, Selbstbefreiung und -findung zelebrieren, amüsiert "Strictly Ballroom" sich königlich über die absurde Ernsthaftigkeit der Welt, die er portraitiert. Der ständig beschriene Pan Pacific Grand Prix klingt zwar toll, ist aber nicht mehr als eine bedeutungslose Regional-Amateurmeisterschaft, wird von allen Beteiligten aber trotzdem behandelt, als ginge es um den Weltmeister-Titel. Es ist ein mit künstlicher Wichtigkeit aufgeblasenes, komplett sinnfreies Universum, und gerade deshalb macht die Exaltiertheit, mit der die schillernden Gestalten der Tanzsport-Szene sich hier aufführen, solchen Spaß. Luhrmann weiß, wovon er spricht: Seine Eltern waren Tanzlehrer und er selbst lange in der Szene aktiv. Die erste Version seiner liebenswürdigen Satire brachte er schon Jahre vor dem Film mit seiner eigenen Theatertruppe auf die Bühne.
Das Großartige an "Strictly Ballroom" ist, wie es Luhrmann gelingt, die Amateurtanz-Welt durch konsequente Überhöhung zu karikieren, aber gleichzeitig das Aufbegehren von Scott und Fran gegen die strikte Befolgung der Turniertanz-Regeln (eben "Strictly Ballroom" zu tanzen) und die sich natürlich anbahnende Liebesgeschichte komplett ernsthaft und emotional mitreißend zu erzählen. Das erinnert nicht zufällig an den Trilogie-Abschluss "Moulin Rouge", der mit ähnlicher Leichtigkeit zwischen fröhlich-verspielter Farce und zutiefst anrührender Liebestragödie pendelte und auf beiden Ebenen grandios brillierte.
Nicht ohne Grund machte Luhrmann "Romeo + Julia" zum zweiten "Roter Vorhang"-Film, denn diese Verquickung von Komik und Tragik für einen maximalen Unterhaltungswert sieht der Regisseur ganz in der Tradition von William Shakespeare. Der große Barde schrieb seinerzeit schließlich nicht nur für adlige Freunde der Hochkultur, sondern gleichzeitig auch für die einfachen Leute von der Straße. Was heute das Hollywood-Kino, war damals das Theater - Unterhaltung für die Massen, die allen zugänglich sein sollte. So finden sich selbst in Shakespeares größten Tragödien ein paar alberne Dummkopf-Charaktere, die mit Schenkelklopfer-Humor das Proletarier-Publikum zum Lachen bringen sollten. Das ist ungefähr so, als hätte man Adam Sandler einen Gastauftritt in "Titanic" gegeben. Klingt heutzutage völlig abwegig, ist aber genau das, was Shakespeare gemacht hat, und was auch Luhrmann macht. "Romeo + Julia" als Pop-Spektakel mit Hit-Soundtrack und kommenden Teenie-Stars lockte ein Millionen-Mainstreampublikum an, das sich sonst nie in eine Shakespeare-Verfilmung verirrt hätte.

Auch "Strictly Ballroom" ist großes Theater in diesem Geiste, eine irrwitzige Mischung aus absurder Komik und anrührendem Liebesdrama, das aus einem an sich kitschig-simplen Satz ein poetisch anmutendes Leitmotiv macht: "A life lived in fear is a life half-lived" (da echot es aus "Moulin Rouge": ‚The greatest thing you'll ever learn is just to love and be loved in return"). Und wie bei einem Veteran des Tanztheaters nicht anders zu erwarten, ist "Strictly Ballroom" auch als reiner Tanzfilm einer der besten Vertreter seiner Zunft - mit herrlich inszenierten Tanznummern, die ihre eigene Freude an der Verschmelzung aus Musik und Bewegung mitreißend feiern und in denen jeder Tanz nicht zu einer simplen Showeinlage verkommt, sondern immer auch die Geschichte des Films weiter erzählt; ein Film voller großer Gesten und großer Gefühle, die selbst dann noch bewegen, wenn sie vor einer leuchtend roten Coca-Cola-Werbetafel stattfinden oder mit einem Discofox-Evergreen wie "Love is in the air" unterlegt werden. Das ist die Kunst des Baz Luhrmann: Aus seichten, abgegriffenen Ikonen des Pop fast schon überlebensgroße Romantik zaubern, als würde man sie zum allerersten Mal erleben.

Man darf gespannt sein, wie der nächste Luhrmann-Film aussehen wird - mit dem Abschluss der "Roter Vorhang"-Trilogie wollte sich der Australier gänzlich anderen Projekten zuwenden und als nächstes eine Trilogie großer Historien-Epen inszenieren. Sein geplantes Biopic über Alexander den Großen kam jedoch nicht zustande, da ihm Oliver Stone mit seinem missglückten "Alexander" zuvorkam. Nun wird's im nächsten Jahr die geballte Aussie-Power geben: Luhrmann inszeniert die australischen Superstars Hugh Jackman und Nicole Kidman in einem monumentalen Epos über die frühen Jahre der Besiedlung des fünften Kontinents. Simpler Titel: "Australia". Bleibt zu hoffen, dass der nächste Luhrmann - trotz gänzlich neuem Stil - genauso großartig wird wie seine bisherigen, zügellos-überdrehten Geniestreiche, die man sich nun endlich alle drei ins DVD-Regal stellen kann.

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netter text, dem ich so mehr oder weniger zustimmen kann. nur eins geht gar nicht und das ist der einleitende satz...

"Es gibt nicht viele Regisseure, denen es heutzutage noch gelingt, sich mit einem ganz eigenen Stil zu etablieren."

was ist das denn bitte für eine aussage?

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7
7/10

Ich stehe zuweilen mit den Kritiken von Herrn Helmke auf Kriegsfuß, aber diesen Film kann man nicht besser beschreiben. Der Film polarisiert, entweder man will sich auf den verschrobenen Charme dieses Mikrokosmos einlassen (dann findet man den Film spitze) oder eben nicht - dann findet man ihn wohl nur affig. Anders als vom Zeitgeist durchtränkte Hochglanz-Tanzshows wie 'Flashdance' oder 'Fame' läßt 'Strictly Ballroom' an jeder Ecke durchblicken, dass er sich selbst nicht so ganz ernst nimmt - er ist eine knallbunte Tanznummernrevue und zugleich ein Stück weit seine eigene Parodie auf sich selbst. Das einzige, was ich schade finde, ist, dass Paul Mercurio sein Talent nach dem Film nicht genutzt hat - und danach nur noch ein paar Nebenrollen in Softporno- und Martial-Arts-Filmen hatte.

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