Stranger Things - Staffel 2

von Matthias Kastl / 29. Oktober 2017

Stranger Things“ war die große Serienüberraschung des letzten Jahres. Die Abenteuer rund um eine Bande rollenspielsüchtiger Kinder, die in einer amerikanischen Kleinstadt echte Monster bekämpfen müssen, eroberte dank sympathischer Darsteller und liebevoll umgesetzter 80er-Jahre-Nostalgie die Herzen des Publikums. Allerdings war der große Hype sicher auch dem Umstand geschuldet, dass man diesem charmanten Underdog nur zu leicht einige seiner Storyschwächen verzeihen konnte. Mit dem Leben als Underdog ist es angesichts der großen Fangemeinde, die dem Start der zweiten Staffel seit Monaten entgegenfieberte, nun aber definitiv vorbei. So durfte man gespannt sein, ob die Macher der Serie, die beiden Brüder Mark und Ross Duffer, mit dem neuen Erfolgsdruck überhaupt umgehen konnten.

Um es kurz zu machen: Ja, konnten sie. “Stranger Things“ ist zwar auch in den neun Episoden der zweiten Staffel nicht wirklich frei von Schwächen, da insbesondere der ein oder andere Nebenstrang sich dann doch als eher unnötiger Lückenfüller entpuppt. Aber den Charme der ersten Staffel fängt die Fortsetzung trotzdem wieder geradezu mühelos ein, bietet dazu sogar einen diesmal etwas gelungeneren Spannungsaufbau rund um das zentrale Mystery-Element und liefert, nach einem kleinen Hänger in der siebten Folge, in den letzen beiden Episoden auch noch einen packenden Showdown inklusive gelungenem emotionalen Ende.

Stranger Things

Erst einmal ist aber in der Serie Wiederaufarbeitung angesagt, denn die dramatischen Ereignisse des vergangenen Jahres haben bei allen Spuren hinterlassen. Das geheime Forschungslabor wird inzwischen von Dr. Owen (Paul Reiser) geleitet, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger durchaus noblere Ziele verfolgt. Er und sein Team versuchen das gefährliche Portal in die andere Welt irgendwie unter Kontrolle zu halten, dazu möchte man durch regelmäßige Gesundheitschecks dem von damals noch gebeutelten Will (Noah Schnapp) ein halbwegs gewöhnliche Rest-Kindheit ermöglichen. Dessen Mutter Joyce (Winona Ryder) versucht inzwischen zumindest so etwas ähnliches wie ein normales Leben zu führen und beginnt eine Affäre mit ihrem alten Schulfreund Bob (Sean Astin, “Herr der Ringe“).

Derweil betrauert Mike (Finn Wolfhard) den Verlust seiner übernatürlich begabten Freundin Elf (Millie Bobby Brown), die das Monster damals scheinbar mit in den Tod genommen hat. Seine Kumpels Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) sind dagegen eher an der neuesten Attraktion der Schule interessiert, nämlich der extrem coolen Max (Sadie Sink). Deutlich größere Probleme hat dagegen Chief Hopper (David Harbour), denn ein mysteriöses Kürbissterben treibt viele Farmer in der Umgebung gerade in die Verzweiflung. Als sich dann auch noch die mysteriösen Anfälle von Will häufen, beschleicht Hopper das ungute Gefühl, dass der kleine Ort Hawkins wohl so schnell erst mal nicht zur Ruhe kommen wird.  

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Die zweite Staffel legt einen ungewöhnlichen Start hin. Statt dem beschaulichen Hawkins befinden wir uns zu Beginn nämlich in einer Großstadt und werden mitten in eine Verfolgungsjagd geworfen, bei der sich am Ende herausstellt, dass die übernatürlichen Kräfte von Elf wohl kein Einzelfall waren. Ein etwas ungelenker Beginn, denn dieses Auftaktkapitel ist ein nur mäßig gelungener Teaser, der für die nächsten Stunden auch erst einmal von der Serie wieder schön ignoriert wird. Stattdessen geht es schnell wieder zurück ins kleine Hawkins, wo wir schauen wie es unseren Helden denn im letzten Jahr so ergangen ist. Dafür nimmt sich die Serie viel Zeit – so viel, dass wir selbst in der dritten Folge noch immer große Backstory-Brocken serviert bekommen. Das ist aber gut so, da unsere alten Helden nichts von ihrem Charme verloren haben und die Serie ihre Stärken in Sachen liebevoller Charakterzeichnung eins zu eins auch in den neuen Episoden ausspielen kann.

Dabei ist es vor allem schön zu sehen, wie die Ereignisse aus der ersten Staffel nicht mal eben kurz abgefrühstückt werden, sondern die Figuren wirklich spürbar erschüttert haben. Ob das Verschwinden von Elf, der Tod von Barb oder das Trauma von Will – der ruhige und nachdenkliche Beginn gibt uns nicht nur die Zeit, uns wieder mit den Figuren zu verbinden, sondern rückt uns auch noch ein weiteres Stück näher an sie heran. Besonders charmant gelungen ist dabei das geheime Doppelleben des Chiefs, der einen ganz besonderen neuen Partner an seiner Seite hat. Wie schon in der ersten Staffel ist die Serie dabei vor allem in ihren kleinen persönlichen Momenten unglaublich einfühlsam, so dass man sich manchmal fast wünscht ganze Episoden würden nur aus Küchentisch-Konversationen und Rollenspielabenden bestehen. Die Grundwerte von Familie und Freundschaft stehen dabei immer noch an erster Stelle und da auch der neue Laborleiter Dr. Owenja ein ganz netter Kerl zu sein scheint, beginnt man sich dann doch bald zu fragen, wo denn hier eigentlich nun der Konflikt bleibt.

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Mit der Ruhe ist es aber dann spätestens ab der vierten Folge vorbei. Es knirscht und kracht nun auch spürbar zwischen den Figuren und die Mystery-Elemente nehmen deutlich an Fahrt auf. Auch diesmal würde man sich allerdings zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man behaupten würde, dass “Stranger Things“ mit seiner Mystery-Geschichte und den eher spärlich verteilten Horror-Elementen nun kreatives Neuland betreten würde. Teilweise wirken manche Sachen doch schon sehr vertraut, was aber natürlich auch daran liegt, dass man hier nur zu gerne im Kino der 80er Jahre wildert. Aber auch die eigene Vorlage wirkte hier wohl “inspirierend“, denn Joyce darf in ihrem Haus auch diesmal wieder geheime Botschaften ihres Sohnes entschlüsseln. Im Vergleich zur ersten Staffel wirkt der Mystery-Teil diesmal aber dann doch eine Spur durchdachter umgesetzt, so dass die Spannung diesmal eigentlich kontinuierlich hochgehalten wird.

Natürlich fragt man sich noch immer, warum scheinbar niemand im restlichen Land mitbekommt, wenn es in dem Forschungslabor mal wieder drunter und drüber geht. Aber abgesehen von ein paar kleineren Logiklücken macht es einfach Spaß dabei zuzuschauen, wie sich unsere Figuren Stück für Stück in Richtung großer Showdown vorkämpfen. Gespickt ist dies alles natürlich wieder mit zahlreichen Verweisen auf die Popkultur der 80er Jahre, wobei diesmal vor allem Fans der “Ghostbusters“ auf ihre Kosten kommen. Die Darsteller knüpfen ebenfalls wieder durch die Bank weg an ihre starken Leistungen an und so ist die zweite Staffel über weite Strecken ein Wiedersehen der richtig angenehmen Art, bei dem man auch die ein oder andere neue Seite an den Figuren entdeckt. Bestes Beispiel dafür ist der einst als selbstverliebtes Arschloch eingeführte Steve, der hier nun endgültig die Wandlung vom Saulus zum Paulus erfährt und mit seinen ganz persönlichen Styling-Tips für Dustin die Lacher auf seiner Seite hat.  

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Ganz ohne erhobenen Zeigefinger kommt die Serie uns dann hier aber auch nicht davon. Man hat nämlich auch ein paar neue Impulse setzen wollen, von denen aber leider nicht jeder so richtig funktioniert. So hat man frisches Blut injiziert und ein paar neue Figuren in den Mix geworfen, von denen aber nur zwei neue Gesichter so wirklich überzeugen können. Der neue Laborleiter Dr. Owen kommt eine deutliche Spur vielschichtiger daher als sein eindimensionaler Vorgänger, und Joyce genauso naiver wie liebenswürdiger Love-Interest Bob wächst einem vor allem dank der charmanten Darstellung von Sean Astin (selbst ja ein Kinderstar der 80er mit “Die Goonies“) ans Herz. Das wiederum kann man über die Rolle der Max, mit der man Will, Mike, Dustin und Lucas eine Art “Ersatz-Elf“ an die Seite stellt, nur bedingt sagen. Der Schatten von Elf ist einfach zu groß und erst gegen Ende kann sich Max erfolgreich von diesem befreien. Ihr selbstverliebter Stiefbruder Billy wiederum ist, für die Serie eigentlich sehr untypisch, so klischeehaft geraten, dass wir lieber den Mantel des Schweigens über ihn legen.

Die beiden größten Kritikpunkte betreffen aber zwei Nebenschauplätze, die der Serie stellenweise eine gehörige Portion Energie rauben. Da wäre einmal der Strang rund um Nancy und Wills Bruder Jonathan, den man getrost als eine Art Beschäftigungstherapie für die zwei Figuren bezeichnen darf. Spätestens mit dem Auftauchen des völlig überzeichneten Verschwörungstheoretikers Murray Bauman kann man diesen nämlich nicht mehr wirklich ernst nehmen. Fast noch schlimmer ist aber die Tatsache, dass beiden Figuren eine Liebesgeschichte angedichtet wird, die mangels Chemie zwischen den beiden Darstellern viel zu gezwungen daherkommt.

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Und schließlich wäre da noch Folge sieben. Ohne zuviel verraten zu wollen: So mutig der Versuch eines nicht nur örtlichen, sondern auch tonalen Wechsels der Geschichte auch sein mag, hier geht dieser doch deutlich nach hinten los. Die Idee, einer der jungen Figuren eine Art pubertäre Rebellion ermöglichen zu wollen, ist an sich eigentlich gar nicht schlecht. Aber das ganze Szenario versprüht leider eher die Wirkung eines lieblos zusammengeschusterten B-Movies. Richtig tief geht die Rebellion auch nicht so richtig, da schon beim ersten großen Konflikt sich die Figur dafür entscheidet doch lieber wieder die Heimreise anzutreten.

Glücklicherweise folgt auf die schlechteste Episode der ganzen Serie ein temporeiches Finale, dass all das wieder vergessen macht. Obendrauf gibt es dann in den letzten 10 Minuten der Staffel auch noch etwas fürs Herz und “Stranger Things“ in absoluter Bestform. So klischeehaft und urtypisch amerikanisch das letzte Setting hier auch sein mag, wie jede Figur hier ihren eigenen kleinen emotionalen Höhepunkt erleben darf ist derart liebevoll umgesetzt, dass man gar nicht anders kann als die Serie wieder in die Arme zu schließen. Sicher, es gibt Serien mit weniger Schwächen da draußen, die auch deutlich mehr Kreativität und Eigenständigkeit an den Tag legen. Aber was Charme angeht, macht den Jungs aus Hawkins so schnell keiner was vor.

Die komplette 2.Staffel von "Stranger Things" ist seit dem 27.Oktober beim Streaming-Anbieter Netflix verfügbar.


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