Snowpiercer - Folge 1 + 2

von Matthias Kastl / 29. Mai 2020

Als Science-Fiction-Bombe des Jahres hatten wir 2014 Bong Joon-Hos ("The Host", "Parasite") Comic-Verfilmung "Snowpiercer" geadelt. Nun möchte der amerikanische Fernsehsender TNT gerne eine zweite Erfolgsbombe zünden und schickt den postapokalyptischen Zug in Serienproduktion. Und dank Netflix dürfen wir seit dieser Woche auch in Deutschland eine Fahrkarte lösen. Die ersten beiden Folgen lassen dabei vermuten, dass die Reise zwar durchaus kurzweilig, aber nicht unbedingt sehr tiefgründig verlaufen dürfte.

Die Serie übernimmt dabei das Grundszenario aus dem Film, der seinerseits ja wiederum auf einer französischen Comicserie basierte. Nach einem missglückten wissenschaftlichen Versuch, die Erderwärmung zu stoppen, herrscht auf unserem Planeten Eiszeit. Aus Mangel an Alternativen haben sich die wenigen Überlebenden in die 1001 Waggons des ständig in Bewegung bleibenden High-Tech-Zuges "Snowpiercer" gerettet. Unter der Führung des mysteriösen Mr. Wilford genießen dabei die Schönen und Reichen die Annehmlichkeiten der ersten Klasse, während im hinteren Teil des Zuges furchtbare Bedingungen herrschen und die dort abgeschottete ärmere Schicht an Rebellion denkt.

Angesichts des Mangels an Waffen eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen für die Unterschicht, doch genau hier sorgt die Serie mit einem neuen Storytwist für einen kleinen Hoffnungsschimmer. Melanie Cavill (Jennifer Connelly, "Dark City", "Requiem for a Dream"), die "Kommunikationsmanagerin" des Snowpiercer, wird von Mr. Wilford beauftragt einen prekären Mordfall zu lösen – und soll dabei auf die Dienste des einzigen erfahrenen Mordermittlers an Bord des Zuges zurückgreifen. Das ist aber ausgerechnet der "Unterschichten"-Passagier Andre Layton (Daveed Diggs), der eigentlich gerade leidenschaftlich an der Planung der großen Rebellion arbeitet. Ausgestattet mit völlig neuen Privilegien darf sich Layton bei seinen Ermittlungen nun also ein Bild von den Sicherheitsvorkehrungen im Rest des Zuges machen – in der Hoffnung wertvolle Informationen für die geplante Revolution sammeln zu können.   

Dieser Einfall der Serienautoren ist dann auch gleich der erste große Kritikpunkt an "Snowpiercer". Dass sich die High-Society des Zuges bei einem delikaten Mordfall ausgerechnet an einen abgehalfterten Ex-Ermittler aus dem kurz vor der Rebellion stehenden hinteren Zugteil wendet, ist einfach komplett unglaubwürdig. Diesem mehr als wackeligen Storygerüst wird dann auch nicht gerade dadurch geholfen, dass sich rein zufällig auch noch eine Ex-Geliebte unseres Ermittlers unter den Verdächtigen befindet. Wir erwarten ja nicht Shakespeare, aber so ein klein wenig hätte man sich bei der Konzeption der Geschichte ja doch anstrengen können und nicht Standard-TV-Plots recyclen müssen.

Vielleicht könnte man diese Kröten etwas leichter schlucken, wenn der gute Layton sich wenigstens als brillanter Ermittler entpuppen würde. Zumindest in den ersten beiden Folgen ist dessen Kombinationsgabe aber dann doch eher reglementiert. Stattdessen schläft Layton lieber mit der verdächtigen Ex-Freundin, was ihn dann auch davon überzeugt, dass bei soviel Zärtlichkeit die Dame wohl kaum als Mörderin in Frage kommt. Sherlock Holmes, he ain't. Ebenso fragwürdig ist Laytons genauso halsbrecherische wie sinnfreie Aktion am Ende der zweiten Folge, mit der er eine geheime Botschaft zu seinen alten Kameraden schicken möchte. Durchdacht sieht anders aus, aber es sorgt halt für etwas Action auf dem Bildschirm.

Und damit sind wir auch schon beim entscheidenden Punkt. "Snowpiercer" möchte lieber unterhalten als wirklich zum komplexen Nachdenken anregen. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Serie vom amerikanischen TV-Sender TNT produziert wird und eher ein breiteres Fernsehpublikum abholen möchte. So bekommt man dann auch die klassischen Mini-Cliffhanger (oder in Dramaturgen-Englisch: "act breaks") vor der ursprünglichen Werbepause serviert, die sich für den Netflix-Zuschauer allerdings nur durch das kurze Ein- und Ausblenden eines Schwarzbilds äußert. Durch diese klassische Fernsehserien-Struktur wird man als Drehbuchautor aber eben auch leicht dazu verleitet, alles nur auf diese "Act Breaks" auszurichten und das große Ganze aus dem Auge zu verlieren. Und genau darunter leidet der "Intellekt" der Serie.

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass man mit "Snowpiercer" trotzdem durchaus seinen Spaß haben kann. Nicht nur, weil die Handlung zügig voranschreitet und immer irgendetwas passiert. Sondern vor allem auch, weil die Grundprämisse einfach immer noch einen großen Reiz ausübt. Hinter jeder Tür gibt es ja einen neuen kleinen Mikrokosmos zu entdecken. Und auch wenn man angesichts der unterschiedlichen Größenverhältnisse einiger Wagons etwas irritiert sein mag, blickt man doch fasziniert auf dieses komprimierte Gesellschaftssystem mit seinen Nachtclubs, Viehwägen, Restaurants und Gewächshäusern. Diese konstante Neugier sorgt dafür, dass man als Zuschauer eben doch weiter am Ball bleibt.

Es überrascht dann auch nicht, dass die Figur der Kommunikationsmanagerin Melanie Cavill mit Abstand die reizvollste des ganzen Zuges ist. Gespielt von der wie immer wunderbaren Jennifer Connelly, die schauspielerisch ihren Kollegen deutlich überlegen ist, muss die gute Melanie zwischen den Luxusproblemen der Erste-Klasse-Passagiere und dem Revolutionsdrang der Unterschicht vermitteln. Wie Melanie hier mit kühler Eleganz versucht es allen irgendwie recht zu machen und spürbar immer mehr unter Druck gerät, ist eine deutlich faszinierendere Angelegenheit als der viel zu konstruiert wirkende Mordfall.

Keine Frage, in "Snowpiercer" steckt angesichts der vorhandenen Konflikte an Bord ein riesiges Potential eben mehr als nur flüchtiges Entertainment zu sein. Nur fokussiert sich der Serie in den ersten Folgen leider nicht darauf. Was schade ist, denn im Gegensatz zum Film hätte die Serie ja die Chance, die Funktionsweise dieses Mikrokosmos noch viel ausgiebiger zu beleuchten. So bleibt es aber oft bei visuellen Leckerbissen, wie einer Action-Sequenz rund um einen Viehwaggon, die uns aber leider viel zu wenig über die Mechaniken hinter diesem komplexen System verraten.

So ist "Snowpiercer" eine zwar immer noch ganz unterhaltsame, aber eben doch auch frustrierende Angelegenheit geworden, was eventuell auch den chaotischen Bedingungen hinter den Kulissen zu verdanken ist. Der ursprüngliche Showrunner wurde nach kurzer Zeit gefeuert, die Pilotfolge noch einmal komplett neu abgedreht, und im Anschluss berichteten verblüffte Schauspieler, dass sie auf einmal komplett neue Figuren spielen mussten. Womit die Serie zumindest in dieser Hinsicht ihrem großen Vorbild gerecht wird, denn auch hinter den Kulissen der 2014er Version tobte damals ja ein berüchtigter kreativer Machtkampf zwischen Regisseur Bong Joon-Ho und Produzent Harvey Weinstein.

Wer "Snowpiercer" trotz ruckeligem Beginn aber eine Chance geben möchte, der hat leider noch ein weiteres Hindernis zu überwinden. Aus vertraglichen Gründen zeigt Netflix die Serie nur in Häppchen, und so muss die Binge-freudige Community immer bis zum nächsten Montag warten um eine weitere Folge schauen zu dürfen. Was dann doch die Frage aufwirft, ob dieser Zug wirklich genug Fahrt aufnehmen kann, um seine Zuschauer nicht schon an einer der ersten Haltestellen wieder zu verlieren.

Bilder: Copyright

Schlechte Schauspieler, bescheuerte Dialoge, flache Charaktere, keine ernstzunehmende Handlung. Selbst das einzig wirklich interessante, die verschiedenen Waggons und ihre unterschiedlichen Funktionen, langweilen schon nach kurzer Zeit. Ohne Jennifer Connelly hätte ich bereits nach 20 Minuten abgeschaltet. Da sehe ich mir lieber noch einmal paarmal den hervorragenden Film an.

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