Es gibt einen Moment in "Der gute Hirte" da trifft sich der CIA Agent Edward Wilson (Matt Damon) mit einem kleinen italienischen Mafiosi (Joe Pesci, in seinem ersten Film seit acht Jahren). "Wir Italiener haben unsere Familien, die Iren haben ihre Heimat, die Juden ihre Tradition, sogar die Nigger haben was, nämlich ihre Musik. Aber was habt ihr Amerikaner?", fragt der Mann. Damon hebt in diesem Augenblick leicht den Kopf, man könnte meinen er zittert, aber ein Zittern ist nicht zu sehen. Mit dem für seine Rolle typischen Blick sagt er dann: "Wir haben die Vereinigten Staaten von Amerika, der Rest von euch ist nur zu Besuch." Spätestens ab da merkt man, dass dieser Film viel mehr ist als nur ein simpler Thriller. Es ist die Leidensgeschichte eines Mannes, der traumatisiert durch den Selbstmord seines Vaters in völliger Gefühlskälte zu den Gründungsmitgliedern des mächtigsten Geheimdienstes der Welt, der CIA, gehören wird.
13 (!) Jahre ist es her, dass Robert de Niro sein Regiedebüt "A Bronx Tale" gab, so lange musste man auf einen Nachfolger warten. Aber das Warten hat sich wirklich gelohnt. Angesichts der Präzision, die der Film an den Tag legt, kann man es wirklich kaum fassen, dass hier quasi ein "Anfänger" am Werk ist. Dabei ist das Vorhaben, die Entstehungsgeschichte der CIA zu verfilmen, eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber zum Glück belehrt uns De Niro eines besseren. Über fast drei Stunden erstreckt sich sein Epos. Angefangen von der amerikanischen Niederlage in der Schweinebucht von Kuba 1961 springt er zurück in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.
Edward studiert noch in Yale. Er wird Mitglied des Skull & Bones-Geheimordens. Bei dem mit sehr mysteriösen und dämonischen Ritualen operierenden Verein handelt es sich nicht um eine Erfindung. Dieser Orden existiert tatsächlich. Skull & Bones ist vielleicht die politische Kaderschmiede der USA schlecht hin. Alle von George W. Bush bis John Kerry gehören der Organisation an. Jedes Mitglied muss zunächst ein Geheimnis vor versammelter Mannschaft ablegen. Man entblößt sich, äußerlich und innerlich. Von nun an hat jeder jeden in der Hand. Man gibt seine Privatsphäre auf und bekommt dafür pure Macht. In der CIA, in der Edward später arbeitet, geht es auch nicht anders zur Sache. Ist der russische Spion, der zu den Amerikanern überläuft, nur ein Spitzel oder sagt er die Wahrheit? Ist der Yale-Professor ein Nazi-Sympathisant oder ein englischer Geheimdienstmitarbeiter? Es gibt viele Entweder-Oder-Möglichkeiten in "Der gute Hirte". Und es ist grandios, mit welcher Kunstfertigkeit De Niro all diese Möglichkeiten wirkungsvoll, manchmal mörderisch wirkungsvoll werden lässt.
Seine Geschichte nimmt uns mit an den Punkt in der Entwicklung eines Staates, an dem er seine Überwachungsapparate ins Leben ruft. Es ist der entscheidende Moment, wenn sich wirtschaftliche und politische Interessen untrennbar verzahnen. Das eine bedingt das andere. Und so ist "Der gute Hirte" auch ein kritischer Blick auf die modernen Staats- und Nationaltheorien.
Aber im Mittelpunkt steht die Frage, wer diese Menschen sind, die in diesen Apparaten arbeiten. Matt Damons Charakter ist ein resoluter Fremder in seinem eigenen Leben. Obwohl, Leben kann man das eigentlich nicht nennen, was er da führt. Die Paranoia des kalten Krieges führt so weit, dass er nicht mal mehr seiner Familie trauen kann. "Traue niemandem" heißt es immer wieder, und so ist er allein in den kalten chromfarbenen Räumen der CIA. Es ist toll, dass Damon seinen Charakter nicht wie gewohnt ausstellt, sondern sehr introvertiert und zurückgenommen agiert. Gesichtsausdrücke? Fehlanzeige. Da spürt man die präzise Schauspielführung des Regisseurs, der selbst genau weiß, wie man eine Rolle richtig anlegt.
Und was ist mit der Action? Ebenfalls Fehlanzeige. Keine großen Schießereien, wie in Scorseses "The Departed". Nein, da wo "The Departed" mit Aktion, schnellem Schnitt und Adrenalin kommt, setzt "Der gute Hirte" auf die stille und ruhige Beobachtung seiner Akteure. Manch einer mag das sperrig nennen, und hier ist vielleicht auch der Grund zu finden, warum dieser grandiose Film in den USA nur verhalten aufgenommen wurde und "Departed" als einziges Meisterwerk des Jahres gefeiert wird. Aber es muss sich erst noch zeigen, welcher von beiden Filmen die Jahre überdauern wird.
Es ist ein Blick in einen Teufelskreis geworden, mit vielen Interpretationsmöglichkeiten und einer ganzen Masse an christlichen Metaphern, wie schon der Titel. Dass am Ende weder ein Happy End noch ein Funken Hoffnung steht, ist wundervoll konsequent. Schließlich wird diese Geschichte noch weiter gehen. Sie hält bis in unsere Zeit an, und die Männer und Frauen der Geheimdienste werden wie Matt Damon langsam und bedächtig durch die langen leeren Flure schlurfen, immer auf der Hut, schließlich könnten sie ja beobachten oder verfolgen oder ...
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