Flügel aus Stahl

MOH (4): 1. Oscars 1929 - "Flügel aus Stahl"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 26. September 2023

Mit "Im siebenten Himmel" und “The Racket“ haben wir uns bereits zwei von drei der 1929 in der Kategorie “Outstanding Picture“ nominierten Filmen angenommen, nun ist es Zeit für den Siegerbeitrag. Mit “Flügel aus Stahl“ sicherte sich ein episches Weltkriegsdrama den Eintrag in die Geschichtsbücher und die Trophäe für den besten Film im ersten Jahr der Academy Awards.


Flügel aus Stahl

Originaltitel
Wings
Land
Jahr
1927
Laufzeit
139 min
Release Date
Oscar
Gewinner "Outstanding Picture"
Bewertung
8
8/10

Oft wird "Flügel aus Stahl", ein Drama rund um zwei junge Fliegerpiloten im ersten Weltkrieg, als der letzte große Stummfilm bezeichnet. So richtig stumm ist der Film aber gar nicht, denn schon damals hatte man auf spannende Weise mit Sound experimentiert. Neben der damals üblichen Live-Begleitung durch eine Orgel oder ein Orchester wurden zusätzlich noch Soundeffekte mit eingespielt, beispielsweise Maschinengewehrfeuer. Im ersten Jahr des Releases erfolgte dies noch mit Hilfe spezieller Maschinen neben der Leinwand, dank eines neuen Verfahrens konnten diese Effekte im zweiten Jahr dann aber sogar direkt auf den Filmstreifen gepackt werden. Für das damalige Publikum dürft das sicher ein ziemlich beeindruckendes Klangerlebnis gewesen sein, denn in "Flügel aus Stahl" rumst und kracht es doch ziemlich oft.  
 


Der Film handelt von den jungen Männern Jack (Charles Rogers) und David (Richard Arlen), die sich eigentlich nicht riechen können, deren Wunsch Pilot zu werden aber beide schließlich erst in die Army und dann an die Front des ersten Weltkriegs nach Frankreich verschlägt. Das wiederum sieht Jacks Nachbarin Mary (Clara Bow) gar nicht gerne, denn die ist unsterblich in Jack verliebt und macht sich darum ebenfalls auf den Weg nach Frankreich. Genug Stoff für ordentliches Drama ist also vorhanden, die Story und die Figuren sind aber leider nicht gerade das große Plus des Films. Gerade die zentrale Frauenrolle und die damit verbundene simple und etwas hölzern geschriebene Romanze kommen heute einfach sehr altbacken daher und sind für ein modernes Publikum eher schwer zu verdauen.

Die Action-Szenen sind dagegen auch fast 100 Jahre später noch durchaus beeindruckend. So packte man damals Spezialkameras auf die Flugzeuge und generierte Action-Sequenzen, die einem auch heute noch durchaus den Atem rauben. Was vor allem daran liegt, dass man eben weiß, dass hier keine großen Spezialeffekte zum Einsatz kamen und stattdessen Stuntmen ihr Leben riskierten. Das Ergebnis sind zahlreiche intensive Flugszenen, die selbst Jahrzehnte später noch Regisseur Tony Scott bei der Umsetzung von "Top Gun" als Blaupause dienen sollten.
 


Ähnlich wie "Top Gun" profitierte "Flügel aus Stahl" damals ebenfalls von einer engen Kooperation mit dem amerikanischen Militär. Und Junge, nutzt der Film das aus. Lange Kameraschwenks über Massen an Kriegsgerät von Flugzeugen bis zu Panzern sind hier nur der Anfang. Wirklich beeindruckend sind neben den Fluggefechten auch die Kämpfe am Boden. Da gibt es dann schon einmal Einstellungen, bei denen im vorderen Teil des Bildes MG-Schützen feuern, während dahinter dutzende Soldaten durchs Bild hetzen, weil gleichzeitig ein Panzer angerollt kommt über den dann zwei Flugzeuge im Tiefflug durchs Bild jagen. Wohlgemerkt alles in einer Kameraeinstellung und mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem ersten Einsatz von CGI. Da zieht man alleine für die Organisationsleistung doch den Hut.

All das ist ziemlich souverän inszeniert und natürlich lässt es sich Regisseur William A. Wellman (der selbst Pilot im ersten Weltkrieg gewesen war) auch nicht nehmen, einen wundervollen kleinen Tracking-Shot einzubauen. Die waren damals nämlich gerade neu und so etwas wie der große heiße Scheiß unter Regisseuren, auch wenn man damals noch ziemlich viel technisch tricksen musste, um ein halbwegs sauberes Endergebnis zu erhalten. In Wellmans Fall mündet dies aber in einer eleganten Szene in einem Lokal in Paris, bei der die Kamera über mehrere Tische hinweg auf unseren Protagonisten zu schwebt.
 

Tracking Shot in "Flügel aus Stahl"


Optisch ist also vieles hier ziemlich faszinierend anzuschauen und oft sogar durchaus packend, zumindest solange es Action zu sehen gibt. Dafür wirken manch kleinere Slapstick-Momente wiederum für einen Kriegsfilm eher unpassend und die Liebesgeschichte fällt, wie bereits erwähnt, sehr klischeehaft aus. Für das moderne Publikum eher befremdlich ist auch die für die damalige Zeit so typische übertriebene Theatralik des Schauspielensembles, gerade wenn es um romantische Wendungen geht.

Dabei hatte man sich für die weibliche Hauptrolle mit Clara Bow eigentlich eine der damals bekanntesten Schauspielerinnen gesichert, die durch den Film "Das gewisse Etwas" ("It") nicht nur Berühmtheit erlangte, sondern damit auch zur Pionierin für den noch heute genutzten Begriff des "It-Girls" avancierte. Von deren Charisma ist auf der Leinwand aber eher wenig zu sehen und von einer Chemie zwischen ihr und Hauptdarsteller Charles Rogers auch nicht sonderlich viel zu spüren. Ganz im Gegensatz zum jungen Gary Cooper, dessen souveräner Mini-Auftritt als cooler Kadett den Startschuss für eine lange und erfolgreiche Karriere bildete.

Glücklicherweise kriegt der Film am Ende aber emotional noch ganz gut die Kurve. So gelingt ein durchaus berührender Abschluss, wenn einer unserer Protagonisten spürbar gezeichnet mit den persönlichen Konsequenzen des Krieges konfrontiert wird. Angesichts des ordentlichen Finishs und vieler faszinierend anzuschauender Action-Szenen ist "Flügel aus Stahl" auch noch fast 100 Jahre später am Ende ein spannendes und unterhaltsames Zeitzeugnis der Kinogeschichte und wohl das letzte große Filmspektakel, das ganz ohne gesprochenes Wort auskam.

"Flügel aus Stahl" ist aktuell auf Amazon Prime erhältlich, glücklicherweise aber seit 2023 Public Domain und so heute ganz legal im Netz erhältlich. Und auch hier;-)


Ausblick
In der nächsten Folge wenden wir unseren Blick den Nominierten in der Kategorie “Unique and Artistic Picture“ zu, die lediglich im ersten Oscar-Jahr existierte und im Nachhinein aus den "Best Picture"-Geschichtsbüchern “getilgt“ wurde. Was angesichts drei unglaublich faszinierender Beiträge und dem Sieg eines deutschen Regisseurs schon ein klein wenig schade ist.

Bilder: Copyright

Sehr schöne Aktion, ich wünsche euch allen Erfolg. Leider ist der Kommentarbereich hier mittlerweile verwaist, aber ich schaue immer noch gerne hier vorbei. Hoffentlich bleibt uns diese Seie noch lange erhalten
Vor allem unterscheidet ihr euch angenehm von den Jubelpersern, Labertaschen und Rageclickbaitern mit ihren "kontroversen Meinungen", die mittlerweile die deutsche Rezensionslandschaft beherrschen.
Keep up the good work und ich kann den nächsten Beitrag kaum erwarten.

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Antwort auf von EinFan

Hey, danke für die motivierenden Worte - wir von der Redaktion lesen und freuen uns auf jeden Fall über jeden Kommentar;-) und die Reihe wird natürlich fleißig fortgeführt...

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