Anmerkung: Dieser Text enthält Spoiler, ohne die eine adäquate Analyse des Films nicht möglich wäre. Der Autor des Textes geht davon aus, dass die entsprechenden Einzelheiten dem Leser bekannt sind.
Der stilistische Einfluss David Finchers auf den Thriller Hollywoods ist mittlerweile so sehr ausgeprägt, dass es schwer fällt, sich an die Zeit vor dessen patentierter Düsteroptik zu erinnern. Auch Serienkiller gab es natürlich schon vorher als cineastisches Thema - es sei hier nur kurz an den Gold-Kollegen "Das Schweigen der Lämmer" erinnert - aber selten bis nie gingen Thema und Stil so kongenial Hand in Hand wie hier. Denn der abgrundtief düstere Inhalt von "Sieben" wird brillant in den konsequent düsteren Bildern widergespiegelt. Nun ist es so, dass David Fincher ein von seinem Drehbuch-Material abhängiger Regisseur ist, der visuell zwar eine Klasse für sich ist, dessen Filme insgesamt aber nur so gut sind wie ihr Skript. Wenn das Drehbuch nur durchschnittlich ist, macht Fincher daraus immer noch elegantes, durchstilisiertes Spannungskino ("Alien 3", "The Game", "Panic Room"), aber wenn das Drehbuch selbst hervorragend ist, macht er daraus moderne Klassiker wie "Fight Club" oder eben diesen Film hier. All das nützt natürlich nichts ohne Darsteller, die das vorgegebene Niveau halten. Das betrifft vor allem das zentrale Ermittlerduo, das dem perfiden Killer das Handwerk legen will. Brad Pitt als der ehrgeizige David Mills, der seiner Frau (exzellenter Support: Gwyneth Paltrow) nicht genug Aufmerksamkeit schenkt und dem älteren, weiseren Sommerset nicht genug Gehör, geht in Ordnung (bisweilen wirken seine Wutausbrüche ein wenig zu studiert), aber Herz und Hirn des Films ist Morgan Freeman als der alte Cop, der es wider Optimismus und Glaube an das Gute im Menschen besser weiß und trotzdem weiter macht. Einen besseren Schauspieler hätte man für diese Rolle nicht finden können, denn Freemans schweigende Autorität und die dem Thema angemessene, fast testamentarische Gravitas, die er seiner Figur verpasst, lassen seine Leistung hier vielleicht sogar als Höhepunkt einer an großen Leistungen nicht gerade armen Filmographie erscheinen. Wahre Größe erreicht ein Film letztlich auch dadurch, wie gut er beim mehrmaligen Anschauen noch dasteht. Gerade im Thriller-Genre ist dies eine besondere Herausforderung, denn gelöste Rätsel und Mörder-Entlarvungen fallen beim wiederholten Sehen als Spannungseffekte weg. Auch deswegen ist "Sieben" eine Rarität unter den Thrillern - ein Film, der auch beim mehrmaligen Sehen nicht nur kein einziges bisschen Faszination verliert, sondern sogar noch besser wird. Denn wenn erst mal die Plotdetails aus dem Weg sind, ist der Blick frei für die ganzen Kleinigkeiten, die einem beim ersten Schauen noch entgangen sind. Und dann ist da natürlich noch das mittlerweile ebenfalls klassische Ende, das sich in eine Reihe stellt mit legendären Schlusswendungen wie etwa jener aus den "Üblichen Verdächtigen". Doch statt nur einen überraschenden Haken zu schlagen, begeistert "Sieben" mit einem moralisch ambivalenten Ende, wie es Hollywood-Mainstream so gut wie nie produziert. Besonders teuflisch dabei, wie der Zuschauer zum Komplizen gemacht wird, der vom Hirn her nicht will, dass John Doe durch Erfüllung seines Werks gewinnt, und vom Herz her doch voll auf Mills' Seite ist, während er seine Waffe leer schießt. Von diesem konsequent düsteren Ende kann nicht mal Morgan Freemans etwas unpassender Schlussmonolog aus dem Off (der einzige Kompromiss in Richtung "positive Message") ablenken. Bei der etwas akademisch klingenden Liste von Sachen, die "Sieben" zum Klassiker machen, verliert man eins fast aus den Augen: Der Film ist sauspannend. Design, Subtext, schon klar, ist alles super - aber auch, wer nur einen superspannenden Thriller sehen will, wird nicht enttäuscht. Das dachten sich wohl auch unzählige schwächere Nachahmer, denn nachdem die erste Welle an Serienmörder-Filmen nach dem Überraschungserfolg vom "Schweigen der Lämmer" gerade am Abflauen war, wurden nach "Sieben" alle möglichen Psychopathen auf die Leinwand gezerrt, ohne dass einer von ihnen oder der ihn umgebende Film dem Vorbild auch nur annähernd nahe kam. Finchers düsterer Stil dagegen wurde von jeder Variante des Thrillers aufgenommen und ist fester Teil des Hollywood-Mainstreams geworden. Trotzdem: Vertraut nur dem Original. Denn besser als hier kann man einen Thriller eigentlich nicht umsetzen. |
Originaltitel
Seven
Land
Jahr
1995
Laufzeit
124 min
Regie
Bewertung
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