Ob es an der religiösen Renaissance oder an der spirituellen Sinnsuche der modernen Europäer liegt - Pilgerreisen sind in aller Munde. In Deutschland liegt das Interesse an der mittelalterlichen Wallfahrt zum größten Teil an dem Erfolg von Hape Kerkelings Reisebericht "Ich bin dann mal weg". Seine persönliche und nicht nur aufs Komische abzielende Darstellung seiner Wanderung auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela findet immer mehr Nachahmer. Ob Wandervogel, Landschaftsliebhaber, gesellschaftlicher Aussteiger oder Eventjäger; die modernen Pilger haben wohl kaum mehr die religiösen Bedürfnisse und Hoffnungen auf himmlisches Heil wie ihrer mittelalterlichen Vorfahren. Ihre verklärten Gesichter nach der Rückkehr sprechen dennoch von einer geistigen Erweckung aus dem dumpfen Alltag des Konsums. Der Ausbruch in die Natur zur Findung seines eigenen Wesens - ist das überhaupt möglich? Schenkt man den Begebenheiten der neun Pilger aus "Saint Jacques…
Pilgern auf Französisch" Glauben, ist eine Pilgerreise
zumindest eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst. Nur
etwa die Hälfte der Wanderer kommt freiwillig und muss sich
dennoch den Anstrengungen des Laufens und der Einfachheit
der Herbergen unterwerfen. Sie machen Reiseleiter Guy (Pascal Légitimus)
das Leben schwer. Allen voran die drei Geschwister Clara (Muriel
Robin), Pierre (Artus de Pengueren) und Claude (Jean-Pierre Darroussin).
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein und haben sich entsprechend
wenig Herzliches zu sagen. Doch ihre verhasste Mutter zwingt die
drei noch aus dem Grab, sich zu versöhnen: Um das gewaltige
Vermögen der betuchten Dame erben zu dürfen, müssen
sie zu dritt eine Pilgerreise unternehmen. Da Claude, ein geschiedener
Alkoholiker mit kleiner Sozialhilfe, und Clara, Lehrerin mit großer
Familie in renovierungsbedürftigem Haus, ziemlich pleite sind,
überreden sie den reichen und nervösen Unternehmer Pierre
sich ihnen anzuschließen. Coline Serreau ("Drei Männer und ein Baby") hat gut daran getan, die Umsetzung des Wallfahrtsstoffes als Komödie anzulegen. So umgeht sie geschickt mögliche Problematisierungen in religiöser und spiritueller Hinsicht und schweift nicht in eine Landschaftsdokumentation ab. Obwohl die Inhaltsangabe schlicht klingt, sind die Themen von "Saint Jacques" sehr umfangreich. Da es die Länge des Films nicht zulässt, die Wünsche und Probleme aller neun auftretenden Pilger gleichermaßen sorgfältig zu behandeln, beschränkt sich Serreau auf fünf Figuren, die im Film eine Weiterentwicklung erleben dürfen. Bei den übrigen belässt sie es bei Andeutungen. "Saint Jacques" ist eine Tragikkomödie, die spielend
und ernst zugleich mit ihren Protagonisten umgeht. Alkoholismus,
Krebs, Kindererziehung und zerbrechende Beziehungen sind die großen
Sorgen, die sich hinter den Anstrengungen des Wanderns und den schmerzenden
Füßen verstecken und selten zum Vorschein kommen. Als
Zuschauer begleitet man die Pilger als Mitreisender, Einblick in
ihr Inneres bekommt man nur durch ihre Träume. Durch "Saint Jacques…" zieht sich eine ausgewogene
Mischung aus Tragik und Komik, die nichts banal erscheinen lässt.
Die sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Pierre und Mathilde
ist zart angedeutet und ertränkt sich nicht in Kitsch. Auch
die zerbrechende Ehe von Guy springt nicht durch Effekt heischende
Dramatik und große Gestik auf die Leinwand, sondern schleicht
sich langsam heran - wie im richtigen Leben. Zum Ende hin lässt
der spielerische Umgang mit den Personen nach und sucht doch noch
nach einem dramatischen Abschluss. Manche Dinge sind vorhersehbar,
manche überraschend, fast immer jedoch stimmt die Mischung.
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