Jemand sollte Mel Gibson einen Teddybär schenken. Oder eine DVD von "Ist das Leben nicht schön?". Oder sonst etwas, dass die Stimmungslage des einstigen Action-Spaßvogels wieder aufhellt, denn die scheint derzeit doch sehr düster zu sein. Nach seinem blut- und leidensreichen Kreuzweg-Film "Die Passion Christi" widmet sich Gibson mit seiner nächsten Eigenproduktion nun in ähnlich drastischer Weise dem Untergang der Maya-Kultur. Eine derart intensive Auseinandersetzung mit solch fatalistischen Themen hat schon fast etwas Selbstzerstörerisches an sich, und da passt es irgendwie ins Bild, dass Gibson diesen Sommer nach einem Alkoholismus-Rückfall von der Polizei betrunken am Steuer erwischt wurde und bei seiner Verhaftung hässliche antisemitische Tiraden ausspuckte. Mit vorsichtig orchestrierter, öffentlicher Buße inklusive Entzugsklinik versuchte Gibson, den Imageschaden pünktlich zum Start von "Apocalypto" wieder auszumerzen, was ihm teilweise sogar gelang. Erste, sehr positive Testvorführungen haben dabei geholfen - wie dieses euphorische Echo zustande kam, ist angesichts des Films allerdings recht unverständlich.
"Apocalypto" erzählt die Geschichte des Maya-Jägers "Pranke des Jaguars" (nennen wir ihn der Einfachheit halber Pranke, auch wenn's doof klingt), der mit seinem Stamm seit Generationen (und vor dem Einfall der Spanier in der "neuen Welt") friedlich im mittelamerikanischen Regenwald lebt. Doch eines Tages fällt eine feindliche Meute über das Dorf her, und das Grauen hält Einzug. Der halbe Stamm wird grausam massakriert, der Rest gefangen genommen und abgeführt. Pranke kann seine schwangere Frau und seinen Sohn in Sicherheit bringen, wird jedoch selbst verschleppt.
Diese Eröffnung erzählt Gibson zunächst in trügerisch-idyllischen Bildern der in fröhlicher Eintracht lebenden Stammesmitglieder, und ein bisschen gelacht werden darf auch. Dass der Film in Sachen Gewalt-Detailliertheit allerdings ohne jegliche Zurückhaltung ans Eingemachte geht, macht schon die allererste Szene deutlich: In der erlegen Pranke und seine Jäger-Gruppe ein Wildschwein, dessen wertvollste innere Organe sie anschließend untereinander aufteilen - inklusive der Hoden, die einer der Krieger dann auch an Ort und Stelle essen muss, und das alles hübsch in Großaufnahme. Da dreht man schon nach wenigen Minuten angewidert den Kopf weg, und diese Reaktion wird sich im Folgenden noch oft wiederholen.
Mit dieser krassen Direktheit hält Gibson in den folgenden zwei Stunden auf beinahe jeden Gewaltakt drauf, den er einfangen kann, und die sind in ihrer Anzahl und Heftigkeit schon enorm. Soviel ungezügelte, unnachgiebige Brutalität hat man in einem realistischen Kontext (Horror- und Splatterfilme nehmen wir hier mal aus) jedenfalls wohl noch nie in einem Kinofilm gesehen, und schon bald ist der Punkt erreicht, an dem man als Zuschauer bis ins Mark erschüttert ist von soviel abartiger, unmenschlicher Wildheit. Aber: "Apocalpyto" häuft seine Gewaltorgien derart erbarmungslos und direkt aufeinander, dass es bis zur Abstumpfung auch nicht lange dauert - womit die späteren Exzesse der frenetischen Barbarei schon wieder an Wirkung verlieren, weil zu schnell der Punkt erreicht ist, an dem der Blutrausch nicht mehr schockt, sondern nur noch nervt.
Da wartet man dann darauf, dass der Film mit einer packenden, vielschichtigen Geschichte aufwartet, denn die eigenen Ansprüche sind hoch: Bedeutungsschwanger wird "Apocalpyto" eröffnet mit einem Zitat des Philosophen William Durant: "Eine große Zivilisation lässt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat." Was Gibson hier zeigen will, ist die innere Degenerierung der Maya-Hochkultur, wodurch die Eroberung und schließlich Vernichtung dieser Zivilisation durch die Spanier erleichtert, wenn nicht gar überhaupt erst ermöglicht wurde. Das wiederum soll auch als Parabel für die aktuelle Weltsituation funktionieren, die sich in großen historischen Zyklen auf eine ähnliche Entwicklung zu bewegt. Findet zumindest Gibson, und sieht Parallelen zwischen heute und damals in der wachsenden Dekadenz der Reichen, gefördert durch Konsumsucht und Korruption, und dem einhergehenden Raubbau an der Natur.
Soweit die schöne Theorie. In der Praxis ist davon leider so gut wie nichts erkennbar. Die Erzählung verharrt strikt in der Perspektive von Pranke, so dass Aspekte, die ihn nicht direkt betreffen, auch nie deutlicher hervortreten denn als Details im Bildhintergrund. Wenn Pranke und seine verschleppten Stammesbrüder nach einem ziemlich inhaltsleeren Mittelteil, der im Prinzip nur aus einer gefesselten Wanderschaft durch den Dschungel besteht, endlich in einer Maya-Metropole ankommen, wird der soziale, kulturelle und ökologische Niedergang nur kurz angedeutet. Wenn man nicht schon vorher weiß, was hier ausgesagt werden soll, kann man es allein aus dem filmischen Kontext kaum erschließen.
Es beschleicht einen viel mehr das Gefühl, dass all diese komplexen Zivilisations-Details Gibson dann doch nicht so wichtig waren. Stattdessen ergötzt er sich in unnötiger Ausführlichkeit an einem Ritual massenhafter Menschenopfer, das in seiner Gesamtheit so dermaßen abscheulich ist, dass man diesem Volk den Untergang geradezu an den Hals wünscht - ein respektvoller Umgang mit einer historischen Hochkultur sieht anders aus, die zivilisatorischen Errungenschaften der Maya sucht man in diesem Film jedenfalls vergeblich.
Mit Prankes Flucht zurück zu seiner in anhaltender Gefahr befindlichen Familie bietet der Film einen zugegebenermaßen beeindruckenden Showdown, denn das Schlussdrittel ist im Prinzip eine einzige, rastlose Verfolgungsjagd. Hier kann dann auch vor allem Kameramann Dean Semler glänzen, der mit einer neuartigen, hochauflösenden Digitalkamera drehte und damit eine Bewegungsfreiheit genoss, die zu wirklich großartigen Sequenzen führt: Immer hautnah an den Figuren dran, hetzt die Kamera in atemberaubender Geschwindigkeit mit durch den dicht bewachsenen Dschungel und kann so höchst effektiv die Atmosphäre der Originalschauplätze vermitteln.
Ohnehin ist "Apocalypto" zumindest handwerklich ohne Frage großes Kino, was beim betriebenen Produktionsaufwand auch nicht weiter wundert. Doch das beste Handwerk nutzt wenig, wenn die Sache im Kern nicht stimmt. Und "Apocalpyto" hat hier nicht nur entscheidende Defizite, weil der Fokus seiner Geschichte viel zu klein angesetzt ist. Den Untergang einer Zivilisation kann man eben nicht am Einzelschicksal eines an sich Unbeteiligten illustrieren, und das apokalyptische Grundthema lediglich auf halber Strecke mit pseudo-bedeutungsschwangerem Prophezeiungsgeschwafel einzufädeln ist auch keine sehr überzeugende Lösung. Gibsons Wille zu größtmöglicher Authentizität und maximal bildhaftem Erzählen (mit entsprechender Dialogknappheit) steht der Komplexität des Ganzen ebenfalls im Weg. Wie schon bei der "Passion Christi" setzt er auf markante, größtenteils unbekannte Schauspiel-Gesichter und hält alle Dialoge in der Originalsprache (diesmal Yucatec-Maya), der Zuschauer ist auf Untertitel angewiesen.
Spätestens hier muss man die entscheidende Frage stellen: Wen, bitte schön, soll das interessieren? "Die Passion Christi" war ebenso eigenwillig umgesetzt, widmete sich aber immerhin einem der zentralen religiösen Ereignisse der westlichen Kultur und hatte somit Aufmerksamkeit sicher. "Apocalypto" nun befasst sich ohne Stars und in schwer zugänglicher Untertitel-Version mit einer untergegangenen Zivilisation, die quasi nichts mit unserer heutigen Kultur zu tun hat. Wenn man nicht gerade Maya-Historiker oder knallharter Gibson-Fanatiker ist, gibt es eigentlich nichts, was an diesem Film ansprechend sein könnte - wo also soll er seine Zuschauer her bekommen?
"Apocalypto" ist ein Film ohne jegliches Zielpublikum, und kann an der Kinokasse eigentlich nur untergehen, wenn die (Film-)Geschichte recht behält. Erinnert sich noch jemand an "Rapa Nui"? Kevin Reynolds, nach seinem Riesenerfolg mit "Robin Hood - König der Diebe" Anfang der 90er auf dem Weg zum Regiethron Hollywoods, realisierte im Anschluss dieses epochale Werk über das Ende der mythischen Zivilisation auf den Oster-Inseln. Der Film war gut - interessiert hat ihn trotzdem keine Sau und "Rapa Nui" wurde ein gigantischer Flop.
"Apocalypto" ist genau genommen ein Haufen heißer Luft, der mit epochaler Breite und ganz viel Blut und Brutalität so tut, als würde er eine tiefsinnige Abhandlung über die inhärente menschliche Tendenz zur Selbstvernichtung liefern. Tut er aber nicht. Stattdessen gibt es eine überlange, oft langweilige und erzählerisch sowie inhaltlich sehr dürftige Dschungelhatz, durchtränkt von den dunklen Visionen eines erzgläubigen Christen, der offensichtlich ein paar mal zu oft die Offenbarung des Johannes gelesen hat. Hoffen wir also auf einen Teddybären für Mel, sonst sehen wir den Guten womöglich demnächst an irgendeiner Ecke als verwirrten Straßenprediger, mit einem großen Schild um den Hals auf dem steht: "Das Ende ist nah!".
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