Lieber Michel,
als ich mich mit dir einließ, wusste ich nicht, dass du nur ein Mann für eine Nacht bist. Als ich deinen Film „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ sah, dachte ich, dies wäre der Beginn einer großen, wahren Liebe (übrigens, der schöne Titel von deinem Film wurde in meinem Land durch einen ziemlich doofen ersetzt, „Vergiss mein nicht“. Dein neuer Film dagegen hat denselben Titel wie im Original, wahrscheinlich weil das Buch unter diesem Namen bekannt ist. Aber ich weiche ab). Auch jetzt halte ich deinen Film für den wahrscheinlich besten Film der letzten Dekade, und es ist kein Wunder, dass ich zu dem Zeitpunkt hin und weg war. Dein Film hat mich zum Lachen und zum Weinen gebracht, war philosophisch und all die visuellen Mätzchen und Eigenarten, die du so gerne magst, waren super geschickt in die Geschichte eingeflochten. Leider trifft all dies für mich nicht auf deinen neuesten Film, „Der Schaum der Tage“ zu, deswegen schreibe ich dir auch diesen Brief. Michel, ich muss dir leider mitteilen, dass ich mit dir Schluss mache.
Ich kann einfach nicht mehr. Seit Jahren warte ich darauf, dass du mich verzauberst wie beim ersten Mal, und seit Jahren enttäuschst du diese Erwartung. Aber jetzt, mit „Der Schaum der Tage“ ist meine Geduld erschöpft. Das, was ich schon in „Science Of Sleep“ und in „Abgedreht“ nervig fand, hast du jetzt mit „Der Schaum der Tage“ noch einmal ordentlich multipliziert: Noch mehr Absurdität, noch mehr visuelle Verrücktheiten, genauso wenig Storystringenz. Dabei muss ich sagen, dass deine Materialauswahl ziemlich geschickt ist. Wenn es jemanden gibt, der Boris Vians surrealistischen Kultroman verfilmen kann, dann doch wohl du. So könnte man zumindest denken, und so hast du es dir sicherlich auch gedacht. Theoretisch war das eine Traumkombination – aber jede Theorie muss eben auch der Überprüfung durch die Realität standhalten. Und in meiner Realität heißt das: Manchmal können zwei eigentlich Gleichgesinnte ihre Tendenzen noch verschlimmern. Und wo Vian eine Welt voller Absurditäten entwarf, da legst du eben noch eine ordentliche Schippe drauf. Und noch eine, und noch eine. Michel, das sind ein paar Schippen zuviel. Vielleicht hätte dich ja auch dein Autor Luc aufhalten oder zumindest etwas bremsen können, aber das hat er entweder nicht gewollt oder nicht geschafft.
Michel, so wie du deine Aufgaben als Regisseur hast, habe ich auch meine als Rezensent. Dazu gehört es in der Regel auch, einen schönen Paragraphen mit einer kurzen Inhaltsangabe zu schreiben. Das ist manchmal schwierig, weil man nicht zu viel verraten will, und manchmal mühselig, weil es über den Inhalt mancher Filme nicht viel zu sagen gibt. Dein Film macht es mir einfach, da es so gut wie keinen Plot gibt, den ich den Lesern zusammenfassen muss. Der reiche Colin (Romain Duris) verliebt sich in Chloé (Audrey Tautou) und um sie herum passieren während dieser Liebesgeschichte viele verrückte Dinge. Und dann gibt es noch Colins Butler Nicolas (Omar Sy) und seinen Freund Chick (Gad Elmaleh), der von dem Philosophen Jean-Sol Partre besessen ist, und sich in Nicolas' Cousine Alise (Aïssa Maïga) verliebt. Ich kann dann natürlich noch den Mann, der in Colins Kühlschrank wohnt, erwähnen, oder die großen Vogelmenschen, oder das Massaker auf der Eisbahn, oder dass die Armee offenbar Waffen organisch anbaut und zwar, in dem Menschen halbnackt auf Erdhügeln liegen, aber all das ist eigentlich auch egal. Das ist so ein bisschen wie beim Poker mit dem „All In“. Mit diesem Film ist man hundertprozent in oder hundertprozent raus. Und ich bin raus.
Ich muss es dir allerdings lassen, an Schauspielern hast du hier ein wahres Traumteam versammelt: Amelie, Driss, den jungen Mann aus den beiden „Auberge Espagnole“-Filmen und vielleicht erinnert sich ja der ein oder andere auch noch an den sympathischen Gad Elmaleh aus „Die Kinder von Paris“ (noch so ein schrecklicher deutscher Titel, Michel). Das sind Leute, die man auch hier in Deutschland so ein bisschen kennt. Omar Sy ist nach dem Erfolg von „Ziemlich beste Freunde“ im letzten Jahr ja so etwas wie des Deutschen liebster Leinwandfranzose, aber dieser Film wird ihm wohl nicht unbedingt mehr neue Fans einbringen. Und Audrey Tautou ist zwar etwas älter, aber immer noch fast so niedlich wie zu Amelie-Zeiten. Den Darstellern, die sich hier alle so charmant wie möglich zeigen, kann man also nichts vorwerfen. Aus diesen Figuren ohne erkennbares Innenleben, ohne Historie und ohne Tiefe können sie aber auch kaum etwas rausholen. Überhaupt leben die Figuren hier eigentlich nur wegen dem bemerkenswerten Charme ihrer Darsteller, was ja schon mal etwas ist. Es hat mich übrigens gar nicht gestört, dass du dich selbst besetzt hast, als Doktor Mangemanche. Bei solchen Typen wie M. Night Shyamalan ist das ja pures Ego, deinen Cameoauftritt fand ich dagegen gar nicht schlecht und die Szene, in der du das Bild deiner Frau zeigst, war die einzige des Films, die mich hat schmunzeln lassen.
Hast du als Kind eigentlich wie ich auch tschechische Kinderfilme und -serien gesehen, Michel? Die mit den ulkigen Stop-Motion-Effekten und Zeitraffern? Ich glaube schon, denn diese Techniken liegen dir hier besonders am Herzen. Dass du ein Faible für altertümliche Tricks und wie selbstgemacht aussehende Pappmaché-Requisiten hast, hast du schon zur Genüge in „Science of Sleep“ und „Abgedreht“ bewiesen, aber hier gehst du noch ein Stück weiter mit den lustigen selbst laufenden Schuhen und den bewegten Essensplatten und so. Immerhin, ich gebe es ja zu, manch Vian'sches Wortspiel (etwa das mit den petit fours-Kuchen, die in wirklichen Miniöfen serviert werden) haben Luc und du ziemlich gewitzt umgesetzt. Und meine Frau lässt schön grüßen, ihr hat dein visueller Einfallsreichtum übrigens besser gefallen als mir.
Kennst du das Sprichwort „weniger ist manchmal mehr“, Michel? Das trifft manchmal auch auf Filme zu, so auch auf deinen. Würde nicht der ganze Film aus visuellem Firlefanz bestehen, dann würden einige der wirklich gelungenen Sequenzen, etwa wenn Colin und Chloé nach ihrer Hochzeit wie unter Wasser strampelnd die Kirche verlassen, viel besser wirken. Das ist doch eine schöne Metapher für den Glücksmoment, den die beiden haben, aber inmitten des ganzen Rests geht er unter, weil man sofort das durchsichtige Auto und anderes Zeugs hat. Michel, poetische Momente und visuell besondere Einstellungen müssen ein bisschen Platz zum Atmen haben und auch mal für sich selbst stehen können. Wenn man wie du hier von einer visuellen Extravaganz und Absurdität zur nächsten hetzt, wird deren Effektivität verringert, ja fast negiert. Noch einen visuellen Schnörkel wirfst du auf den anderen und zerdrückst unter dem ganzen visuellen Plunder die Figuren und ihre Gefühle, ja ihre Menschlichkeit. Vor lauter Spirenzchen hast du deine Figuren fast vergessen, oder sie zumindest zurückgelassen.
Michel, ich muss gestehen, so böse mit deinem Film umzuspringen, den du sicherlich mit Herzblut gemacht hast, ist ein wenig schwierig. Als Kritiker, der nicht nur dem schnöden Mainstream verschrieben ist, ist es ein eigentlich ungeschriebenes Gesetz dieser Branche, dass ich so einen offensichtlich künstlerischen und visuell ambitionierten Film wie „Der Schaum der Tage“ zumindest so halb gut finden muss, oder zumindest so tun muss als ob. Das habe ich dann bei „Science of Sleep“ auch gemacht und dir damals eher widerwillig sechs Augen gegeben. Schließlich sind künstlerische Ambitionen ja auch was wert, egal ob sie zu meiner persönlichen Zufriedenheit umgesetzt werden. Daher obliegt es mir eigentlich, darauf zu verweisen, dass dein Film doch poetisch oder – besser noch – lyrisch sei und einen gewissen, ganz eigenen Charme besitze. Leider fallen mir bei der Beschreibung des Films aber nur andere Wörter ein, Wörter wie: anstrengend, bemüht, nervtötend. Manch einer wird mir da vielleicht böse sein, Michel, aber ich hoffe, du bist es nicht. Du hast brutal dein Ding durchgezogen mit dem zumindest konstant und konsequent in seinen Marotten verbleibenden „Der Schaum der Tage“, also schulde ich es mir und auch dir, mein Ding durchzuziehen. Und da muss ich im Resümé sagen: ich fand deinen Films schrecklich und sehnte nach der ersten Stunde ein schnelles Ende herbei, dass du mir aber verwehrt hast.
Ich weiß nicht, ob du das nachvollziehen kannst, Michel, oder ob du nicht doch denkst „Mais bon dieu, dann geh doch und guck dir irgendwelchen seelenlosen Hollywoodmüll an“. Falls dem so ist, dann sage ich dir: „jawohl, manchmal ist ein bisschen seelenloser Hollywoodmüll besser als anstrengende Kunstkacke, so persönlich und nett sie auch gemeint ist.“ Und deswegen will ich dir auch gar nicht weiter böse sein, und du mir hoffentlich auch nicht. Ich glaube aber, es ist wirklich besser, wenn wir uns jetzt für absehbare Zeit erst einmal trennen. Unüberbrückbare Differenzen sagt man da im Hollywood-Scheidungston zu.
Ich bleibe dir dennoch freundschaftlich verbunden.
Herzlich,
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