Im Jahr 2000 kam ein Film in die Kinos, der den meisten seiner Zuschauer noch sehr lange im Gedächtnis haften bleiben sollte. Der Werbefilm- und Videoregisseur Tarsem Singh lieferte mit "The Cell" einen visuellen Leckerbissen ab, dessen skurrile Traumwelten die einen in Verzückung und die anderen in Verzweiflung versetzten. Auch wenn den fantastischen Bildern die eher zerfahrene Handlung nicht so wirklich gerecht werden konnte - neugierig auf diesen indischen Newcomer, der sich selbst einfach nur Tarsem nannte, war man auf jeden Fall geworden. So ist es dann doch etwas überraschend, dass es nun fast ein ganzes Jahrzehnt gedauert hat, die lange Suche nach einem Verleiher mit eingeschlossen, bis Kinogänger nun endlich das zweite Langfilm-Werk des indischen Regisseurs besichtigen können. Die gute Nachricht: Tarsem hat in all den Jahren nichts von seiner visuellen Ausdruckskraft verloren. Die Schlechte: Mit dem Geschichtenerzählen hapert es leider immer noch ein bisschen. Auch "The Fall" schwelgt zu oft dann doch lieber in schönen Bildern, anstatt sich um Figurenzeichnung oder Plotentwicklung zu kümmern.
Man kann es ja fast als einen kleinen Hinweis auf die eher untergeordnete Rolle der Geschichte sehen, dass dieser Film zu der Sorte von Remakes gehört, die fast nur kosmetische Änderungen am Originaldrehbuch vornehmen. War es im bulgarischen "Yo ho ho" aus dem Jahre 1981 noch ein Junge, ist es in "The Fall" nun die fünfjährige Alexandria (Catinca Untaru), welche nach einem Sturz mit eingegipstem Arm im Krankenhaus auf ihre Entlassung wartet. Die Zeit vertreibt sie sich dabei mit dem bei Dreharbeiten schwer verletzten Stuntman Roy (Lee Pace), der mit seinen fantasievoll erzählten Abenteuergeschichten schnell die Aufmerksamkeit des kleinen Mädchens gewinnt. Alexandria fasziniert dabei insbesondere die Geschichte des berüchtigten blauen Banditen (ebenfalls Lee Pace), der mit einer Gruppe exotischer Helden den brutalen Gouverneur Odious (Daniel Caltagirone) zur Strecke bringen möchte. Doch Alexandria ahnt nicht, dass Roy mit seiner Erzählung einen nicht gerade noblen Hintergedanken verfolgt.
Wie
schon bei "The Cell" präsentiert Tarsem dem Zuschauer
zwei komplett unterschiedliche Welten. Während die Geschichte
im karg eingerichteten und eher düster wirkenden Krankenhaus
fest in der Realität verankert ist, transportieren Roys Abenteuergeschichten
nicht nur Alexandria, sondern auch die Zuschauer immer wieder in
eine farbenfreudige Welt voller skurriler Figuren. Diese Welt gibt
Tarsem die Möglichkeit, seinem visuellen Einfallsreichtum freien
Lauf zu lassen, wovon er dann auch wahrlich regen Gebrauch macht.
Im Gegensatz zu "The Cell" beschloss Tarsem bei diesem
Projekt dabei komplett auf CGI zu verzichten, und reiste stattdessen
mit einer kleinen Crew jahrelang durch die Welt, um in über
20 Ländern einige der eindrucksvollsten Landschaften dieses
Planeten auf Zelluloid zu bannen.
Und das Ergebnis kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen,
denn solch spektakuläre Wüstenlandschaften, malerische
Inseln und surreale Bauwerke hat man in dieser geballten Form wohl
noch nie im Kino bestaunen dürfen. Neben dem Einsatz eleganter
Kamerafahrten ist es dabei vor allem das Spiel mit Farbkontrasten
und Farbintensität, das die Arbeit von Tarsem so auszeichnet,
und so ist dann auch sein zweiter Film wieder ein wahres Festmahl
für die Augen geworden. Manche Szenen sind schon für sich
alleine genommen das Eintrittsgeld wert, allen voran die Unterwasseraufnahmen
eines im türkisfarbenem Meereswasser schwimmenden Elefanten
oder eines wahrlich aberwitzig anmutenden Labyrinths.
"Zuschauer beeindruckt, Mission geglückt" könnte
man nun natürlich meinen, doch ganz so einfach ist es dann
eben leider nicht. Ein Film ist kein Bildband und ein optisches
Spektakel garantiert noch lange keinen gelungenen Kinoabend. So
ist es dann wieder die Story, welche Tarsem nun schon zum zweiten
Mal zum Verhängnis wird, denn vor allem in der Fantasiewelt
treten da doch einige wirklich gravierende Mängel auf. Nur
mit einer kurzen Hintergrundgeschichte ausgestattet werden die exotischen
Abenteurer hier auf ihre Mission geschickt und dann wie Schachfiguren
emotionslos durch die Vielzahl an farbenprächtigen Settings
manövriert.
Ein
paar Kämpfe hier, ein paar einfallslose Dialoge dort, das alles
wirkt oftmals geradezu erschreckend plan- und leblos. Unsere tapferen
Krieger sind nämlich nur reine Staffage - in diesem Film treten
nicht die Landschaften, sondern die Figuren in den Hintergrund.
Eine emotionale Bindung zu den Charakteren aufzubauen ist so gut
wie unmöglich, auch wenn all die exotischen Helden in Alexandrias
Fantasie von mehr oder weniger bekannten Figuren aus ihrem realem
Leben portraitiert werden ("Der Zauberer von Oz" lässt
grüßen).
Es wird schnell offensichtlich, dass es den Machern in diesem Teil
des Films mehr um den visuellen Aha-Effekt als die Geschichte ging,
und nirgends wird das dann deutlich wie in einer kleinen Sequenz,
in der unsere Protagonisten mal schnell durch Dutzende unterschiedlicher
Länder gehetzt werden. Diese Sequenz ist so schnell geschnitten,
dass man, abgesehen von einem kurzen Blick auf die offensichtlich
sehr exotischen Locations, gar nicht die Zeit bekommt um zu erkennen,
was in der jeweiligen Szene denn überhaupt vor sich geht. Nach
wenigen Sekunden ist der für die Handlung vollkommen belanglose
Spuk dann wieder vorüber und wenn man sich dann bewusst wird,
dass Tarsem all diese Szenen tatsächlich extra in den jeweiligen
Ländern drehen ließ, muss man sich doch schon ein wenig
an den Kopf greifen. Netter visueller Gimmick mag nun mancher denken,
doch gerade dies verdeutlicht das Problem des Films, der eben mehr
Wert auf solche optischen Spielereien denn eine wirklich sinnvolle
und gute Geschichte legt.
Das Frustrierende dabei: Ansätze für eine faszinierende
Geschichte sind durchaus vorhanden, wenn man nämlich einmal
einen Blick auf den anderen Erzählstrang im Krankenhaus wirft.
Hier fokussiert sich der Film fast ausschließlich auf das
Zusammenspiel zwischen Roy und Alexandria und gibt seinen Figuren
zumindest einmal die Chance, so etwas wie Leinwandpräsenz aufzubauen.
Das nutzen diese auch und so entwickelt ihre Beziehung auch reichlich
Charme, was vor allem an der Rolle der Alexandria liegt. So eine
realistische Darstellung eines kleinen Kindes sieht man wirklich
selten. Mehr als nur einmal verhält sich das pausbäckige
Mädchen (wundervoll gespielt von der Rumänin Catinca Untaru)
nämlich so, wie Hollywood Kinder eigentlich
nie zeigt: als richtig begriffsstutziges kleines Dummchen. Allerdings
ein unglaublich sympathisches Dummchen, das mit dem ebenfalls gut
spielenden Lee Pace (hierzulande vor allem aus der Serie "Pushing
Daisies" bekannt) eine wirklich gute Leinwandchemie entwickelt.
Noch besser, die Geschichte der Zwei hat tatsächlich auch einige
interessante Wendungen parat und entwickelt damit etwas, was der
Fantasiewelt so gut wie immer fehlt: Spannung.
Doch genau diese Spannung wird mit jedem Wechsel in die nur behäbig
voranschreitende Story der anderen Welt wieder zurück auf Null
gesetzt. Noch schlimmer, obwohl Alexandria so gut wie jede kleine
Nebenfigur aus dem Krankenhaus auch in die Fantasiewelt mit hinüber
nimmt, kommt sie selber dort lange Zeit gar nicht vor.
Und da liegt die große verpasste Chance dieses Films, dem
es meist einfach nicht gelingen will, eine interessante Verbindung
zwischen der realen und der fiktiven Welt zu schaffen. Ab und zu
gibt es zwar mal einen Kommentar von Alexandria, der die Handlung
in der fiktiven Welt beeinflusst, doch dies passiert viel zu sporadisch
und oft mit nur oberflächlichen Konsequenzen, so dass es nicht
wirklich mitreißt. Erst in der letzten Viertelstunde brechen
auf einmal alle Dämme. Alexandria greift nun endlich wirklich
aktiv ein und ringt mit Roy in einer emotionsgeladenen Szene um
die Kontrolle und den Ausgang der Geschichte. Das ist endlich großes
Kino, genau so hätte man von Begin an diese Sache angehen sollen.
Doch leider kommt diese Wendung viel zu spät und so ist "The Fall", wie schon auch "The Cell", letztendlich ein zwar visuell brillant umgesetzter Film, den man auch durchaus noch als lohnenswerten Kinoabend empfehlen darf, der sich aber mit einem etwas zu unausgegorenen Drehbuch den Zutritt zum großen Kino selbst verwehrt. So bleibt nur zu hoffen, dass Tarsem irgendwann einmal lernt seiner beeindruckenden visuellen Gabe auch den passenden Erzählrahmen zu verpassen. Denn diese magischen Bilder haben wahrlich eine packendere Geschichte verdient.
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