Es gibt Filme, die halten nicht, was sie versprechen. Es gibt wiederum Filme, die halten durchaus, was sie versprechen. Und es gibt Filme, die sind sogar besser als die Werbekampagne es gewohnt blumig zu vermitteln versucht. Zu dieser äußerst seltenen dritten Kategorie gehört der Psychothriller "Unsichtbare Augen".
Was soll man schon denken beim Lesen des Kurzinhalts? Fünf junge Leute bewerben sich, sechs Monate lang in einem Haus zu leben und sich dabei rund um die Uhr von Kameras beobachten zu lassen. Und das alles für ein Preisgeld von einer Million Dollar. Klingt nicht wirklich innovativ, zumal man dieses inzwischen abgenutzte Szenario zum nunmehr vierten Mal kostenlos im Fernsehen verfolgen kann - mit all dem begleitenden Thrill in der einschlägigen Presse. Dazu kommt, dass die negativen Eindrücke von "Halloween: Resurrection" (2002) noch zu frisch sind. Auch hier zogen Jugendliche für eine Internet-Reality-Show in ein Haus ein. Sie sollten das Geheimnis des berühmten Teenie-Schlitzers Michael Myers lüften. Leider war die Story so durchsichtig und inhaltsleer, dass auch die progressiven Wackelbilder à la "Blair Witch Project" das Desaster an der Kinokasse nicht verhindern konnten. Das achte Sequel wollten gerade mal 99.200 Zuschauer sehen. Und jetzt das Ganze noch mal? Zum Glück nicht.
Zugegeben, in den ersten zwanzig Minuten dominiert das Gefühl, in einem typischen Teenie-Horror-Streifen zu sitzen. Man kann das Geschehen zwar noch nicht richtig abschätzen, rechnet aber trotzdem mit dem Schlimmsten. Zunächst werden die fünf Jugendlichen eingeführt. Natürlich sind es völlig unterschiedliche Typen, die sich aus unterschiedlichen Beweggründen entschieden haben, in dem gottverlassenen aber mit Kameras voll bestückten Waldhaus Quartier zu beziehen. Da ist die überängstliche Emma, der psychisch labile Danny, die hemmungslose Charlie, der machohafte Rex und der sanftmütige Matt. Ruhm, Geld, Abenteuer, wie unterschiedlich ihre Motive auch sind, eine raffinierte Regel schweißt alle Fünf zusammen: Sobald eine einzige Person das Haus verlässt, ist das Spiel für alle verloren. Dieser Grundsatz führt sehr schnell zu ersten Spannungen: Während sich Charlie in der Einöde langweilt und Emma vor jeder Kleinigkeit furchtsam zurückschreckt, beschäftigt die Jungs ihre erzwungene Enthaltsamkeit. Dann aber erfährt Danny, dass sein geliebter Großvater gestorben ist. Ist diese Information wahr oder nur fieser Teil des Spiels? Wenig später schockieren Emma Drohbotschaften am Fenster und ein blutverschmiertes Kopfkissen. Sie glaubt, von ihrer schlimmen Vergangenheit eingeholt zu werden. Und als dann anstatt der Essensration plötzlich ein geladener Revolver ausgepackt wird, ist die Verwirrung nicht nur bei den Hausbewohnern perfekt.
Mit jeder ablaufenden Minute wird der Film nervenaufreibender und spannender. Das hat er nicht nur seiner überaus intelligenten und ständig überraschenden Story zu verdanken, sondern auch einer konsequent angewandten Bildsprache. Der Zuschauer sieht das gesamte Handlungsgeschehen aus der Perspektive der "Unsichtbaren Augen". Das sind unzählige digitale Kameras, die in allen möglichen Positionen im Haus installiert sind. Ein sehr gewöhnungsbedürftiger, aber wirkungsvoller Ansatz, der sich von der oben angesprochenen Wackelästhetik aber deutlich absetzt. Die Bewohner tragen nämlich keine Digi-Cam-Headsets, sondern werden fast ausschließlich von fest montierten Überwachungskameras gefilmt, die nur eines können: schwenken und zoomen. Diese beiden Funktionen reichen völlig aus, um Detailaufnahmen, Unschärfen und fehlfarbene Bilder zu liefern, die eine schier unerträgliche Spannung erzeugen. Der angestrebte Naturalismus wird zudem durch ein ausgefallenes Sounddesign verstärkt: Wie beim "Blair Witch Project" wurde bis auf den Abspann auf zusätzliche Musik verzichtet, zugunsten der über die Mikrofone aufgenommenen Geräusche oder Geräuschfetzen und dem Surren der Kameras.
Verantwortlich für diesen kleinen aber effektvollen Psychothriller ist die Low Budget Tochterfirma von Working Title WT², die schon mit ihrem ersten Projekt "Billy Elliot - I Will Dance" (2000) einen Überraschungserfolg landete. Ob ihnen dasselbe mit "Unsichtbare Augen" gelingt ist allerdings fraglich. Zweifellos besitzt die unkonventionelle Machart und auch die originelle, nicht vorhersehbare Story ihren Reiz. Abschreckend dagegen wirkt die ausufernde Brutalität im letzten Drittel, so dass allzu Zartbesaiteten von einem Kinobesuch abzuraten ist. Wer aber starke Nerven hat, wird auf keinen Fall enttäuscht sein. Ein wirkungsvolles Deo ist allerdings zu empfehlen.
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